Mit web.de begründete Michael Greve den deutschen Internetboom. Inzwischen widmet sich der Millionär dem Kampf gegen das Altern.
Der Mann liebt die Provokation: »Woran möchten Sie persönlich denn gerne sterben?«, fragt Michael Greve, und seine grau-blauen Augen werden plötzlich klein. »An Krebs? Herzschwäche? Immunversagen?« Der 55-Jährige hat auf Angriff geschaltet. »Es wacht doch niemand morgens auf und denkt sich, heute wäre ein guter Tag, einen Herzinfarkt zu haben.«
Der Gründer des Internetportals web.de spricht gerne über Methoden, mit denen sich altersbedingte Krankheiten in Schach halten oder Zellen erneuern lassen. Worüber er nicht gerne spricht: Unsterblichkeit. »Das ist ein blödes Wort! Darum geht es doch gar nicht«, sagt er und trinkt leicht genervt einen Schluck Ingwertee. Greve sitzt in einem kleinen Café nahe der Admiralbrücke in Berlin-Kreuzberg. Es gibt vegane Suppen, Plüschsessel und Barzahlung. Greves Wohnung liegt um die Ecke. Wenn er nicht dort ist, verbringt er seine Zeit in Karlsruhe und ab und zu im Silicon Valley. In Karlsruhe hat er in den Neunzigern den Grundstein für sein Vermögen gelegt. In Kalifornien gibt er einen Teil davon wieder aus, um den Kampf gegen das Altern zu unterstützen.
Red Bull zum Frühstück, Rotwein zum Runterkommen – das war einmal
Michael Greve, aufgewachsen in Frankfurt am Main, war gerade 16, als sein Vater (»Mitarbeiter Nummer 3 bei Hewlett-Packard Deutschland«) ihm und dem zwei Jahre jüngeren Bruder Matthias einen Apple II schenkte – solche frühen PCs waren 1979 in deutschen Haushalten etwa so verbreitet wie Privatflugzeuge. Schon zwei Jahre später gründeten die beiden Brüder ihre erste Softwarefirma. Als sie an der Uni Karlsruhe zum ersten Mal mit dem Internet in Kontakt kamen, erkannten sie schnell dessen Potenzial. »Wir stellten alle Aktivitäten, die nicht mit Online zu tun hatten, sofort ein«, erinnert sich Greve heute. Auf der Cebit mieteten sie einen Ministand. Das Angebot: Wir bringen Ihre Firma ins Internet. Resonanz: null. »Neben uns am Stand versuchte ein Grieche, Menschen für Reisebuchungen über ISDN zu begeistern. Auch das hat niemanden interessiert«, sagt Greve.
Gemeinsam mit Emmanouil Lapidakis gründeten die beiden Brüder schließlich lastminute.de – und später mit flug.de das laut Greve erste deutsche Online-Buchungssystem. »Für lastminute.de tippten drei Hausfrauen diese Zettel aus Reisebüroschaufenstern ab, und wir stellten die Angebote online.« Auch die ursprüngliche Idee nahm endlich Fahrt auf: »Als BASF merkte, dass sie eine Webseite brauchen, präsentierten wir unser Konzept dort neben 19 Werbeagenturen«, so Greve. »Einen Tag später kam der Anruf, und wir hatten den Auftrag, BASF plus 17 Tochtergesellschaften ins Netz zu bringen.« Weitere Kunden folgten, doch eine Frage hörte Greve immer wieder: »Wie wird man denn gefunden in diesem Internet?« Ein Jahr lang antwortete er, in den USA gäbe es so eine Seite: Yahoo – ein Verzeichnis aller existierenden Webseiten. Das käme bestimmt auch bald nach Deutschland. Nach einem Jahr luden die Greves ein paar Freunde für ein Wochenende ein, katalogisierten zusammen die rund 2500 Webseiten, aus denen das deutsche Netz damals bestand – und gründeten 1995 das Portal web.de. Das Timing war perfekt: Die Deutschen entdeckten millionenfach das Netz, web.de lieferte Gratismailadresse, Nachrichten und Online-Spiele. Es wuchs exponentiell.
Michael Greve wuchs auch und hatte am Ende 20 Kilo Übergewicht. »Red Bull zum Frühstück, dann den ganzen Tag Kaffee und drei Packungen Zigaretten. Abends Rotwein und Pizza zum Runterkommen.« Greve ist Anfang 40, als er das Thema Gesundheit für sich entdeckt. Er hört mit dem Rauchen auf, stellt seine Ernährung um, nimmt massiv ab. Inzwischen verzichtet er komplett auf Milchprodukte und Getreide, generell auf industriell verarbeitete Nahrung. Paleo-Diät ist der Trendbegriff für diese Art von Ernährung. Greve meidet ihn fast so sehr wie das Wort Unsterblichkeit.
Nach dem Verkauf von flug.de (2003 an Otto), lastminute.de (2004 an lastminute.com) und web.de (2005 an United Internet) ist Greve zwar dreistelliger Millionär, doch das unternehmerische Glück verlässt ihn: Die Combots AG, mit der er Mail, SMS und Telefonie in einer supersimplen Anwendung verschmelzen will, wird zum teuren Fiasko. Er will es noch mal allen beweisen, doch er verrennt sich. Etwa zur gleichen Zeit veröffentlicht der britische Bioinformatiker Aubrey de Grey sein viel beachtetes Buch
„Ending Aging“. Der Alterungsprozess sei eine Krankheit, die man heilen könne, schreibt er darin. Zum Beispiel, indem man sogenannte seneszente Zellen eliminiert: Diese Zellen teilen sich nicht mehr, sterben aber im Gegensatz zu normalen Zellen auch nicht ab. Statt dessen sammeln sie sich gewissermaßen als Zellmüll an, sorgen für Entzündungen und Krankheiten und behindern die Bildung neuer Zellen. »Mir als Ingenieur hat de Greys Reparaturansatz auf molekularer und zellulärer Ebene sofort eingeleuchtet«, sagt Greve, der das Buch einige Jahre später liest. Seine Mutter ist inzwischen an Krebs gestorben, die Großmutter litt vor dem Tod jahrelang an Alzheimer. 2014 gründet Greve die Stiftung Forever Healthy, um seine mühsam zusammengetragenen Erkenntnisse über ein längeres Leben mit der Welt zu teilen. Er nimmt Kontakt zu Aubrey de Grey auf, der inzwischen ins kalifornische Mountain View gezogen ist und dort die Sens Foundation gegründet hat: eine Stiftung, die wissenschaftlich erforscht, wie sich das Altern bremsen lässt. Das Geld dafür stammt vorwiegend aus Aubrey de Greys stattlichem Erbe und von Paypal-Gründer Peter Thiel. Greve verdrängt ihn bei einem Besuch im Silicon Valley 2016 als Top-Spender: 10 Millionen Dollar gibt er de Grey. Eine Hälfte für Forschungsförderung, eine Hälfte als Kapital für Start-ups, die diese Forschung umsetzen sollen. Wie lange soll das Geld reichen? Will er irgendwann nachschießen? »Das ist eine Passion für mich. Da will ich einen Beitrag leisten. Dafür setzte ich mein Vermögen gerne ein«, sagt Greve. Konkreter wird er nicht.
Aubrey de Grey ist mit seinem Rasputinbart und grauen Pferdeschwanz nicht nur optisch das Gegenteil von Michael Greve: Bei einem Abendessen im Vorfeld der »Undoing Aging«-Konferenz, die er und der asketische Greve 2019 zum zweiten Mal in Berlin organisieren, spült der Brite seinen Pastaberg mit einem großen Bier und einem doppelten Jack Daniels hinunter. Greve hingegen (an diesem Abend nicht anwesend) meditiert täglich, meidet Alkohol, Zucker und gesättigte Fettsäuren.
Gibt es etwas Eitleres als einen schwerreichen Internetgründer, der den eigenen Tod wenn schon nicht abschaffen, dann wenigstens so lange wie möglich hinauszögern will? Oder ist es begrüßenswert, wenn ein erfolgreicher Geschäftsmann sein Geld in Gesundheitsforschung investiert statt in die hundertste Flirt-App oder ein weiteres E-Scooter-Start-up? Seine Risikokapital-Firma Kizoo – deren erstes Investment eine Beteiligung an der erfolgreichen Fremdsprachen-App Babbel war – hat Greve inzwischen komplett auf Biotech-Investitionen im Bereich Rejuvenation umgestellt – es dreht sich alles um Verjüngung. Mit der Online-Plattform Rejuvenation Now will er bereits verfügbare Anti-Aging-Therapien vorstellen und Nutzen-Risiko-Analysen liefern. Er selbst nimmt beispielsweise (ohne an der Krankheit zu leiden) das Diabetes-Medikament Metformin, das als Altersbremse gilt.
Es gibt im Grunde nichts mehr in seinem Leben, was er nicht dem Thema Jungbleiben untergeordnet hat. Beim Poker würde man sagen: Er ist All-In. Ein Testament gemacht hat er trotzdem. »Natürlich!«, ruft er und lacht.
Greve träumt von Menschen ohne Alzheimer, Krebs und Diabetes
Einen Tag nach dem Treffen im Kreuzberger Café steht Greve am Rednerpult des Hauptstadtkongresses Medizin und Gesundheit. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat die Eröffnungsrede gehalten, Greve kommt erst unmittelbar vor seinem eigenen Programmpunkt »Altern therapieren: Zukunftsmusik oder bald Realität?«. Es ist die letzte Veranstaltung am dritten Tag. Draußen rollen schon die ersten Rollkoffer zum Taxistand, drinnen stellt Greve seine Stiftung und Projekte vor. Bei der anschließenden Diskussion mit Professoren von der Newcastle University oder der Universität Köln wird Greve respektiert, auch wenn er mit Abstand der optimistischste ist. »Ich bin absolut überzeugt, dass das die größte Industrie aller Zeiten wird.« Der Rest der Runde ist vorsichtiger: Man müsse abwarten, alles nicht so einfach, weitere Untersuchungen notwendig. Start-up-Welt gegen das Alte Europa. Als Greve über Fotos von Labormäusen spricht, auf denen man sehen könne, wie nach der Entfernung seneszenter Zellen junges, glänzendes Fell nachwachse, widerspricht einer der Forscher. Es handele sich bei den Fotos keineswegs um zweimal dieselbe Maus, die verjüngt wurde. Sondern gewissermaßen um zwei gleich alte Mäuse, eine unbehandelt, eine behandelt. Die Uhr lasse sich eben nicht zurückdrehen, allenfalls aufhalten. Und das bislang eben auch nur bei Mäusen.
Michael Greve geht es eher um das große Bild als um ein paar kleine Labortiere. »Diese Therapieansätze sind ja nicht schützbar, es wird also viele konkurrierende Anbieter geben«, sagt er. »Und in einem Markt mit Anbieterkonkurrenz und vielen lukrativen Kunden wird die Qualität immer steigen und die Preise werden sinken.« Finanzierbarkeit sei sowieso nicht die Frage. »Sobald das wirklich funktioniert und die Menschen 10, 20 oder 50 Jahre länger gesund bleiben können, werden diese Therapien doch niemandem verwehrt bleiben«, ist sich Greve sicher. »Unser Gesundheitssystem ist doch sowieso schon am Anschlag, und wenn die Leute kein Alzheimer, keinen Krebs und keinen Diabetes bekommen und mit 60 noch so leistungsfähig sind wie mit 30, dann rechnet sich das doch von selbst.«
Text: Christoph Koch
Erschienen in: Die ZEIT
Foto: Cristian Newman / Unsplash
Jawohl, auch Karlsruhe hat einen Bill Gates, weiter so!
Zynischer Artikel über einen guten Typen, der hilfreiche Arbeit leistet.
Ich würde mich über Beispiele für den angeblichen Zynismus in dem Artikel freuen.