Was wäre, wenn … es ein verpflichtendes soziales Jahr gäbe?

Written by on 14/04/2020 in brand eins with 0 Comments

Bis zum 1. Juli 2011 existierten in Deutschland Wehrpflicht und Zivildienst. Seit deren Abschaffung gibt es nur noch freiwillige Dienste, für junge Frauen und Männer: das Freiwillige Soziale oder das Freiwillige Ökologische Jahr oder den Bundesfreiwilligendienst etwa – liebevoll abgekürzt „Bufdi“. Doch was wäre, wenn es wieder eine Dienstpflicht für alle Schulabgängerinnen und Schulabgänger gäbe? Ein soziales Pflichtjahr oder Gesellschaftsjahr, wie es die CDU zuletzt ins Spiel brachte?

Vermutlich wäre eine Grundgesetzänderung erforderlich, denn Artikel 12 garantiert die freie Berufswahl und verbietet jede Form der Zwangsarbeit. Auch die Europäische Menschenrechtskonvention untersagt in Artikel 4 eine Arbeitspflicht. Ausnahmen sind allein der Wehr- beziehungsweise Ersatzdienst, Notfälle wie Naturkatastrophen oder Arbeit im Strafvollzug. Mehrere Einschätzungen, darunter eine des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages, kamen zu dem Ergebnis, dass ein gesellschaftliches Pflichtjahr juristisch nicht zulässig wäre. „Eine Lösung könnte eventuell darin bestehen, im Rahmen der Schulpflicht ein praktisches Jahr einzuführen, das, anders als die heutigen Kurzzeitpraktika, intensiv pädagogisch begleitet wird“, sagt Hartmut Brombach, Abteilungsleiter für Freiwilligendienste und bürgerschaftliches Engagement beim Internationalen Bund, einem freien Träger für Jugendarbeit.

Die Schätzungen über die Kosten gehen weit auseinander: Die Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen geht von 12 Milliarden Euro aus, während der Volkswirt Wolf Schäfer von der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg auf mehr als 22 Milliarden Euro jährlich kommt. Eine ausführliche Analyse der Fachzeitschrift für Freiwilligendienste »Voluntaris« errechnete für das Jahr 2020 Kosten von 13,4 Milliarden Euro, was rund 3,8 Pro-zent des voraussichtlichen Bundeshaushalts entspräche.
Für diese Zahl hat der Autor Philipp Noack die durchschnittlichen Kosten eines Zivildienstleistenden mit den etwa 750 000 jungen Menschen multipliziert, die im Jahr 2020 zwischen 18 und 19 Jahre alt sind. Da wie beim früheren Wehr- und Zivildienst ein Teil der jungen Leute aus gesundheitlichen Gründen ausgemustert würde, könnten die Kosten vermutlich nach unten korrigiert werden. Auch Transferleistungen wie Arbeitslosengeld, die momentan an Schulabgänger gezahlt werden und während eines Pflichtdienstes entfielen, müssten abgezogen werden.

Zusätzlich entstünden durch ein Pflichtjahr indirekte Kosten: „So steht bei gleichbleibendem Renteneintrittsalter und der (…) Annahme, dass sich die Erwerbsbiografien (…) ein Jahr nach hinten verschieben, ein Jahrgang weniger zur Verfügung, der mit regulärer Erwerbsarbeit zu Steueraufkommen, Rentenkasse etc. beiträgt“, schreibt Noack. Eine Studie aus dem Jahr 2000 beziffert diese indirekten Kosten mit 6,5 Milliarden Euro.

Dem stünde ein Gewinn für die Gesellschaft gegenüber: Seniorenheimbewohnern würde mehr zugehört, Kröten beim Wandern geholfen. Auch die Schulabgänger profitierten: Sie könnten sich und ihre Interessen, Fähigkeiten und Neigungen besser kennenlernen, soziale Kompetenzen erwerben und durch eine bessere Orientierung später vielleicht einen Beruf ergreifen, der zu ihnen passt. Damit ginge eine höhere Produktivität einher, die einen Teil der Kosten des Dienstes wieder ausgleichen könnte.

Das Projekt könnte aber am …

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Foto: Luis Melendez / Unsplash

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About the Author

About the Author: Christoph Koch ist Journalist (brand eins, GEO, NEON, Wired, GQ, SZ- und ZEIT-Magazin, Süddeutsche, etc.), Autor ("Ich bin dann mal offline" & "Digitale Balance" & "Was, wäre wenn ...?") sowie Moderator und Vortragsredner. Auf Twitter als @christophkoch unterwegs, bei Mastodon @christophkoch@masto.ai .

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