Eine Marktwirtschaft braucht Konkurrenz. Doch die Wirtschaft sei immer stärker von Monopolen geprägt, sagt der Wirtschaftshistoriker und Politikberater Matt Stoller. Ein Gespräch über gefährliche Machtspiele.
Herr Stoller, wenn eine Firma ein tolles Produkt hat – was ist so schlecht daran, wenn immer mehr Menschen es nutzen und dieses Unternehmen dadurch den Markt beherrscht?
Matt Stoller: Natürlich gibt es Firmen, die erfolgreich sind, weil sie eine Mausefalle erfunden haben, die besser ist als bisherige Mausefallen. Aber normalerweise reicht das nicht, um dauerhaft eine marktbeherrschende Position einzunehmen und zu halten. Viele Unternehmen nutzen dafür wettbewerbsfeindliche Praktiken.
Was wären Beispiele für solche Praktiken?
Wenn ein Unternehmen sehr häufig kleinere Konkurrenten kauft, ist das ein schlechtes Zeichen. Weil dadurch die Marktkonzentration zunimmt und es neue Konkurrenten noch schwerer haben. Wenn es Knebelverträge einsetzt, in denen es zum Beispiel Lieferanten untersagt, Konkurrenten zu beliefern, ist das ebenfalls ein Warnsignal. Oder wenn es diese Konkurrenten überwacht und ausspioniert oder ihnen Zugang zu den eigenen Dienstleistungen verweigert. Oder wenn es mit Dumping-Preisen arbeitet.
Amazon agiert immer wieder so: Den früheren Konkurrenten Diapers.com hat das Unternehmen so lange unter Druck gesetzt – indem es Windeln unter dem Einkaufspreis verkaufte – bis die Gründer 2010 einer Übernahme zustimmten. Und gerade erst kam heraus, dass Amazon die Daten über die Händler, die auf seinem Onlinemarktplatz verkaufen, eben doch nutzt, um dann konkurrierende Eigenmarken auf den Markt zu bringen, wenn es bei den anderen besonders gut läuft. Von Standard Oil über Microsoft bis zu Google ist die Geschichte voll von Beispielen, wie Firmen ihre Vor- machtstellung mit wettbewerbsfeindlichen Methoden absicherten.
Auf Ihrer Website schreiben Sie, dass Monopole nicht nur von der gegenwärtigen Krise profitieren, sondern diese sogar verschlimmern. Wie meinen Sie das?
Ich kenne die Situation in Deutschland zu wenig. Aber in den USA gab es zum Beispiel in den vergangenen Jahren eine extrem große Zahl an Fusionen sowohl bei Krankenhäusern als auch Seniorenheimen. Etwa 40 Prozent aller Krankenhausaufenthalte finden in Gegenden statt, in denen sämtliche Kliniken einem Unternehmen oder einer Organisation gehören. Diese Fusionen haben dazu geführt, dass in Krankenhäusern Kapazitäten reduziert und weniger Geräte vorgehalten werden, die nur selten zum Einsatz kommen. In Seniorenheimen wiederum sorgt diese Marktkonzentration dafür, dass die Sicherheit und Qualität der Pflege nachlässt. Aber auch medizinische Innovation kann durch zu starke Marktkonzentration gebremst werden.
Haben Sie ein Beispiel?
Die »New York Times« hat kürzlich erst über einen Fall berichtet: Bereits 2008 erkannte das amerikanische Gesundheitsministerium, dass eine bessere Ausstattung mit mobilen Beatmungsgeräten landesweit sinnvoll sein könnte. Es gab eine Ausschreibung, und eine vergleichsweise kleine Firma namens Newport Medical bekam den Zuschlag. Diese entwickelte günstige Prototypen, die einfach zu bedienen waren. 2013 sollte die Serienproduktion beginnen. Doch 2012 kaufte Covidien, ein Medizingerätekonzern mit zwölf Milliarden Dollar Jahresumsatz, der ebenfalls Beatmungsgeräte herstellte, die Firma Newport Medical. Und bat dann zwei Jahre später um Entlassung aus dem Vertrag. Die Begründung: Es sei nicht profitabel, die günstigen mobilen Geräte herzustellen.
In Ihrem Buch „Goliath“ beleuchten Sie 100 Jahre Monopolgeschichte und 100 Jahre Wettbewerbskontrolle. Was war der wichtigste Wendepunkt in dieser Zeitspanne?
Bis Mitte der Siebzigerjahre konzentrierte sich Wirtschaftspolitik auf die Produktion. Entscheidend war, wie Dinge hergestellt und vertrieben wurden. Doch dann kam es zu einer Verschiebung im intellektuellen Klima. Plötzlich rückte statt der Produktion der Konsum in den Vordergrund: Ganz egal ob etwas von einer großen Firma stammte oder von vielen kleinen. Ob etwas im Inland oder Ausland produziert wurde – die Hauptsache war, die Konsumenten waren glücklich. Sowohl das linke als auch das rechte politische Spektrum akzeptierte Monopole zunehmend schulterzuckend als etwas, auf das die Politik keinen Einfluss hat.
Dabei sollte spätestens die Weltwirtschaftskrise von 2008 gezeigt haben, dass dieses System, in dem der globalisierte Markt angeblich alles regelt, nicht funktioniert. Deshalb ist es wichtig, dass Politiker und Wähler sich die Hoheit über unsere Gesellschaft zurückholen.
Weiterlesen auf brandeins.de …
Foto: BP Miller / Unsplash