Ein Szenario.
Fast immer, wenn von der medizinischen Versorgung in Deutschland die Rede ist, landet die Diskussion irgendwann bei dem Stichwort Zwei-Klassen-Medizin. Einerseits sind da die Privatpatienten, die der Chefarzt höchstpersönlich behandelt. Andererseits die unterversorgten Kassenpatienten, die sich auch todkrank noch ein Fünferzimmer teilen müssen – so das Klischee. Doch was wäre, wenn es in Deutschland keine privaten Krankenversicherungen (PKV) mehr gäbe?
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Deutschland ist mit seinem zweigeteilten System eine Ausnahme. Die meisten Länder setzen entweder auf eine komplett staatliche Versorgung oder auf gesetzliche Kassen plus private Zusatzversicherungen. Die erste Frage wäre deshalb, ob auch die Möglichkeit abgeschafft würde, eine private Zusatzversicherung abzuschließen, zum Beispiel für den Zahnersatz. „Schafft man beides ab, muss alles, was nicht von den gesetzlichen Kassen abgedeckt wird, komplett selbst bezahlt werden“, sagt Annika Herr, Gesundheitsökonomin an der Universität Hannover. „Das dürfte die sozial ungerechteste Lösung sein, weil Einkommensunterschiede dann stärker entscheiden, wer welche Zusatzleistungen erhält.“
8,7 Millionen müssten wechseln
Gäbe es in Deutschland keine privaten Vollversicherungen mehr, müssten 8,7 Millionen Menschen in die gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) wechseln. Bei diesen knapp elf Prozent aller Versicherten handle es sich um „überdurchschnittlich junge und gesunde Menschen“, sagt Herr. Dadurch würden die Mitglieder der gesetzlichen Kassen im Schnitt gesünder – was niedrigere Pro-Kopf-Kosten für die Kassen zur Folge hätte.
Allerdings verdienten Ärzte ohne Privatpatienten weniger, da sie für deren Behandlung meist mehr erhalten als bei gesetzlich Versicherten. Laut Studien der PKV fehlten dem deutschen Gesundheitssystem dadurch knapp 13 Milliarden Euro, eine durchschnittliche Arztpraxis in Deutschland hätte jährlich rund 50 000 Euro weniger zur Verfügung. Je aufwendiger die Technik einer Praxis, so Annika Herr, desto schwieriger sei es, ohne die höheren Einnahmen durch Privatpatienten zu überleben.
Die gesetzlichen Kassen müssten in diesem Fall vermutlich viele Leistungen besser bezahlen – wodurch auch die Versicherungsbeiträge stiegen. Von dem Vorwurf, die gesetzlichen Kassen wirtschafteten ineffizienter als die privaten, hält die Gesundheitsökonomin nichts: „Das mag bis in die Siebzigerjahre der Fall gewesen sein, als es in Deutschland noch etwa 1800 gesetzliche Krankenversicherungen gab“, sagt sie. „Heute sind es etwa 100. Zwischen ihnen gibt es einen starken Wettbewerb, der zu mehr Effizienz führt.“
Laut dem Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung ist es vor allem das Nebeneinander der beiden Systeme, …
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Text: Christoph Koch
Foto: Piron Guillaume / Unsplash