Die Onlineplattform Patreon will Künstlern ein dauerhaftes Einkommen verschaffen, ohne auf Werbung zu setzen. Ein Interview mit dem Chef Jack Conte, selbst Musiker und Videoproduzent.
Herr Conte, Sie helfen Künstlern, im Internet Geld zu verdienen. Zahlen sollen die Fans. Worin liegt der Unterschied zum Crowdfunding?
Jack Conte: Der entscheidende Unterschied ist, dass wir fortlaufende Zahlungen ermöglichen. Die sind vielleicht etwas kleiner als bei einem Crowdfunding, vielleicht nur ein Dollar oder fünf – aber dafür kommen sie monatlich. Oder jedes Mal, wenn der Künstler etwas veröffentlicht. Nach welchem Prinzip abgerechnet wird, kann jeder Kreative selbst festlegen.
Das beugt womöglich auch der Enttäuschung mancher Unterstützer vor, die sich etwa einstellt, wenn der Film, den man mitfinanziert hat, nach drei Jahren immer noch nicht fertig ist.
Das stimmt. In der Regel besteht bei Patreon ein Vertrauensverhältnis zwischen dem Künstler und seinem Publikum. Wir helfen nur dabei, es dauerhaft zu monetarisieren.
Warum war das bislang so schwierig?
Das Netz hat über Jahrzehnte etablierte Erlösmodelle des Kulturbetriebs in kürzester Zeit über den Haufen geworfen. Ich erinnere mich, wie ich vor sieben Jahren ein sehr aufwendiges Musikvideo drehte: Ich bastelte vier Wochen an einer Kulisse und Robotern und gab insgesamt 10.000 Dollar dafür aus. Ich war mir ziemlich sicher, dass es ein Erfolg würde, und bekam auf Youtube auch schnell mehr als eine Million Views. Aber als ich meine Abrechnung erhielt, betrug mein Anteil an den Werbeeinnahmen genau 166 Dollar. Ich konnte es nicht fassen. Und dachte mir, es müsste einen Weg geben, wie mir Leute, die gut finden, was ich mache, regelmäßig ein wenig Geld geben können.
Was ist das Besondere an diesem Weg?
Wir haben eine Lücke geschlossen: Früher gab es zum einen das Transaktionsmodell: Man kauft sich ein Buch oder eine Eintrittskarte. Und es gab das Prinzip Spende: Man warf dem Straßenkünstler eine Münze in den Hut. Patreon liegt dazwischen. Nehmen wir einen Podcaster, der jeden Monat vier Folgen veröffentlicht. Drei davon sind frei zugänglich, die vierte gibt es nur für Förderer. Es gibt Leute, die sich über die Gratisfolgen freuen und nichts bezahlen. Und es gibt welche, die nur deshalb zahlen, weil sie unbedingt die vierte Folge hören wollen. Es gibt aber auch eine Gruppe, die zahlt, weil sie den Podcast gut findet und weiß, dass er dauerhaft nur möglich ist, wenn es genügend Förderer gibt. Anders als bei einer Spende ist also durchaus Eigennutz der Unterstützer dabei. Aber es ist nicht der klassische Deal Geld gegen Ware.
Viele Künstler versuchen über Facebook, Youtube oder Instagram Reichweite aufzubauen, die sie dann etwa durch Veranstaltungen zu Geld machen. Das wird im Moment schwerer, ist Patreon deshalb die bessere Alternative?
Wir behalten rund zehn Prozent von dem ein, was die Unterstützer bezahlen, und damit werden die geförderten Künstler zu unseren Kunden. Für ein soziales Netzwerk ist der Kunde dagegen nicht derjenige, der das tolle Video hochlädt und auch nicht diejenige, die es sich ansieht – sondern die Werbeindustrie. Wer etwas bei Facebook hochlädt, weiß nicht, wie viele seiner Fans es zu sehen bekommen. Wer eine Million Youtube-Abonnenten hat, kann ihnen nicht mailen, weil Youtube den Künstlern keinen Zugriff auf die E-Mail-Adressen ihrer Fans gewährt. Bei Patreon gehört jedem Künstler die Community, die er aufbaut.
Manche Youtuber sind mit erstaunlichen Shows überraschend erfolgreich. Gibt es auch Leute auf Patreon, von denen Sie das nicht erwartet hätten?
In den USA gibt es mehrere Sportjournalisten, die Patreon sehr erfolgreich nutzen. Einige von ihnen schreiben über Nascar-Autorennen, ein anderer, der mir besonders in Erinnerung ist, war ein Sportreporter, der über NBA-Basketball berichtete, seinen Job bei der Zeitung verlor, auf Patreon weitermachte und damit eine Zeit lang sehr gut verdiente. Die Vielfalt ist riesig: Es gibt Tierheime, die auf Patreon monatliche Zahlungen von Unterstützern bekommen, damit sie sich besser um Tiere in Not kümmern können. Oder einen Nightclub in San Francisco, der Mitgliedschaften über Patreon anbietet.
Mit Patreon Capital geben Sie Künstlern neuerdings auch Kredit – basierend auf ihren bisherigen Einnahmen und ihrer Anhängerschaft. Wollen Sie ins Bankgeschäft einsteigen?
Es handelt sich nicht um einen Kredit, sondern um einen Vorschuss. Das ist ein wichtiger Unterschied, denn wir haben und wollen keine Banklizenz. Das ist nicht nur eine Formalität. Ein wichtiger Unterschied ist, dass wir keine Sicherheiten fordern und nur auf die künftigen Patreon-Einnahmen eines Künstlers zugreifen können. Wenn also jemand einen Vorschuss bekommt und danach keinen einzigen Cent mehr auf Patreon verdient, gehen wir leer aus. Wir haben keinen Anspruch auf andere Einnahmen aus anderen Quellen.
Dann sind Sie aber in einer schlechteren Situation als jede Bank. Gleichen Sie das durch höhere Zinsen wieder aus?
Wir sind in einer besseren Situation als eine Bank, weil wir durch unsere Daten sehr gut vorhersagen können, wie viel der Künstler in den nächsten Monaten auf Patreon verdienen wird. Dadurch können wir unser Risiko senken. Das Projekt ist noch in der Anfangsphase, bislang haben wir nur eine Handvoll solcher Vorschüsse ausgezahlt, um das Prinzip zu testen. Deshalb kann ich auch noch nichts über die Gebühr sagen, die zusätzlich zum Vorschuss zurückgezahlt werden muss. Daran arbeiten wir noch. Die Gebühr wird von der gewählten Laufzeit abhängen. Und es wird ein Fixbetrag sein.
Es gab Kritik, als Sie das Projekt vorstellten. Manche verglichen das Prinzip mit den sogenannten Payday Loans in den USA, kurzfristigen Darlehen mit extrem hohen Zinsen für Menschen in finanzieller Not. Ist dieser Vorwurf berechtigt?
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Text: Christoph Koch
Foto: ConvertKit / Unsplash