Umweltkatastrophen, Kriege um Ressourcen und dann und wann ein tödliches Virus – Science-Fiction behandelt oft große gesellschaftliche Probleme. Was können wir daraus lernen? Antworten von der Politikwissenschaftlerin und SciFi-Kennerin Isabella Hermann.
brand eins: Frau Hermann, sollten Politikerinnen und Politiker mehr Science-Fiction-Filme schauen?
Isabella Hermann: Ja, auf jeden Fall. Und gern auch mehr Science-Fiction-Bücher lesen. Man sollte nur nicht mit den falschen Erwartungen rangehen.
Was wären falsche Erwartungen?
Sich klare und konkrete Lösungsvorschläge für gesellschaftliche Missstände zu erhoffen, am besten noch durch schnelle technische Lösungen. Was Science-Fiction hingegen leisten kann: wie mit einer Lupe auf aktuelle gesellschaftliche Probleme zu schauen. Denn das Genre spitzt diese Probleme in Extremsituationen wie beispielsweise einer vom Klimawandel zerstörten Welt zu. Science-Fiction handelt mehr von der Gegenwart als von der Zukunft. So können wir über unsere Herausforderungen ins Gespräch kommen.
Würde das nicht voraussetzen, dass die in den Filmen und Büchern entworfenen Szenarien einigermaßen realistisch sind?
Nicht unbedingt. In dem Film „District 9“ des Südafrikaners Neill Blomkamp geht es beispielsweise um Außerirdische, die auf der Erde gestrandet sind und nahe Johannesburg in einem riesigen Auffanglager festgehalten werden. Die Geschichte handelt von Rassismus und Ausgrenzung, die durch die Figur des Aliens – das maximal Fremde – ihren extremen Ausdruck findet. Ähnlich verhält es sich bei Robotern oder künstlicher Intelligenz (KI).
Wofür stehen Geschichten über diese Themen?
Roboter stehen oft für marginalisierte Gruppen einer Gesellschaft. Sie kämpfen dann um Anerkennung und wollen als dem Menschen gleichwertig wahrgenommen werden, zum Beispiel in der Verfilmung von „I, Robot“ von Alex Proyas. Oder Alex Garlands „Ex Machina“: Da geht es zwar vordergründig um eine Roboterfrau und um die Frage, ob sie ein Bewusstsein hat. Letztlich aber ist es eine Geschichte darüber, wie Frauen als Objekte behandelt und darauf reduziert werden, Männern zu gefallen.
Viele Zukunftsängste, zum Beispiel vor künstlicher Intelligenz, stammen aus Filmen wie „Terminator“ oder „Matrix“. Wird dadurch die sachliche Auseinandersetzung nicht sogar erschwert?
Grundsätzlich ist es gut, wenn Technologien und ihre Folgen durch solche Blockbuster von vielen Menschen wahrgenommen und diskutiert werden. Es kann aber tatsächlich von den akuten Risiken ablenken, wenn Filme vor allem die sogenannte starke KI thematisieren – also ein System, das ein eigenes Bewusstsein entwickelt und sich dann meist gegen seinen Schöpfer wendet und die Menschheit unterjocht.
Was wäre sinnvoller?
Ein verbreitetes Problem bei KI ist beispielsweise, dass Algorithmen Stereotypen und Ungerechtigkeiten reproduzieren, wenn man nicht auf Verzerrungen in den Datensätzen achtet, mit denen die Systeme trainiert werden. Dafür gibt es unzählige Beispiele, von Algorithmen, die über die Bewährung von Häftlingen entscheiden sollten und dabei rassistisch agierten, bis zur systematischen Benachteiligung von Frauen, wenn KI in Personalfragen zum Einsatz kam. Aber solche Themen eignen sich weniger gut für einen Blockbuster.
Warum entwirft Science-Fiction oft Dystopien, selten Utopien?
Zum einen braucht ein Film oder ein Roman Konflikte, um packend erzählen zu können. Das ist in der heilen Welt einer Utopie nicht so einfach. Die Schriftstellerin Susan Sontag hat einmal geschrieben: „Science-Fiction-Filme handeln nicht von Wissenschaft. Sie handeln von Katastrophen, eines der ältesten Themen der Kunst.“
Das Weiße Haus wird von einer Laserkanone zerstört, New York von einer Flutwelle weggeschwemmt, ein riesiger Meteorit rast auf die Erde zu …
Genau. Neben diesem „Disaster Porn“ gibt es ja aber auch noch die gesellschaftlichen Dystopien. Das Science-Fiction-Genre, wie wir es heute kennen, hat sich Anfang des 20. Jahrhunderts formiert, also zu Beginn des modernen technischen Fortschrittsglaubens. Dazu hat es immer schon dystopische Gegenmodelle gegeben. Im Moment erleben wir zusätzlich eine reale Dystopie – Erderwärmung, Artensterben, Ressourcenknappheit, eine Pandemie, demokratische Rückschritte, eine Post-Wahrheits-Gesellschaft – dazu passen düstere Science-Fiction-Geschichten wunderbar. Es ist zudem einfacher, eine Dystopie zu schreiben, als sich konstruktiv Gedanken zu machen, wie es besser sein könnte.
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Interview: Christoph Koch
Foto: NASA on Unsplash