Haben wir eine zu strenge oder zu laxe IT-Gesetzgebung? Einschätzungen des Juristen und Digitalexperten Viktor Mayer-Schönberger.
I. Digitale Gesetzgebung
Einer der Mythen, wenn es um Gesetzgebung in der digitalen Sphäre geht, lautet: Der Digitalsektor ist nicht zu regulieren, die Gesetzgeber können mit dem Tempo der technischen Entwicklung nicht mithalten. Das klingt zunächst einleuchtend: Eine App zu entwickeln dauert Monate, eine neue Version vielleicht nur Tage. Eine Website ist in Stunden erstellt, ein Tweet in Sekunden. Neue Gesetze, die all das regeln, können hingegen Jahre dauern. Und kommen deswegen oft zu spät, zu einem Zeitpunkt, zu dem sich die Fragestellungen in der Realität bereits um ganz andere Dinge drehen.
Viktor Mayer-Schönberger: Es stimmt, dass sich die Welt schneller verändert, als die Gesetzgebung reagieren kann. Das heißt aber nicht, dass Regulierung unnötig oder unmöglich wäre. Sondern nur dass die Gesetzgebung genereller und weniger auf eine bestimmte Technologie bezogen denken muss. In vielen anderen Bereichen haben sich die bisherigen Regeln sehr gut bewährt und mussten kaum angepasst werden. Das Patentrecht beispielsweise ist relativ allgemein gehalten und hat deshalb sehr gut überlebt.
Warum wird das nicht mehr so gemacht?
Der Gesetzgeber hat oft Sorge, zu allgemein zu formulieren, sodass es Verlierer geben könnte. Das führt dazu, dass die meisten Gesetze extrem detailliert formuliert sind und entsprechend schnell wieder aktualisiert werden müssen. Bei der DSGVO, der Datenschutzgrundverordnung, war es ausnahmsweise anders: Die ist tatsächlich sehr abstrakt, leider aber auch sehr umfassend. Man hat zu viel hineingepackt. Dadurch kann sie niemand widerspruchsfrei interpretieren. Das ist wie bei einem Haus mit zu vielen Anbauten: Irgendwann hat es keinen klaren Stil mehr, und niemand findet sich darin zurecht.
Ein weiterer Mythos besagt: Die digitalisierte Welt ist globalisiert, nationale Gesetzgebung oder EU-Vorschriften sind deshalb wirkungslos. Auch diese Sichtweise wird häufig von den Digitalunternehmen selbst kolportiert. Man möge sich doch bitte an die Firmenzentrale im Silicon Valley oder an das europäische Headquarter in Dublin wenden, heißt es oft, wenn ein deutscher Nutzer ein Problem hat. Statt deutscher Gesetze und Behörden sollen diejenigen des Heimatlandes der Firma gelten und zuständig sein, so zumindest der Wunsch zahlreicher Tech-Unternehmen. IT-Gesetze würden in dieser Logik also nur Sinn ergeben, wenn sie global verabschiedet würden – was sehr schwierig ist, wie man in anderen Bereichen wie Völkerrecht oder Klimaschutz sehen kann.
Das ist rein faktisch falsch. Die DSGVO zeigt, dass allen Drohungen zum Trotz die großen Firmen aus den USA und China weiterhin in Europa geblieben sind und sich den EU-Normen unterworfen haben. Die EU ist also sehr wohl in der Lage, Normen zu schaffen und durchzusetzen, ohne dass man auf eine globale Einigung warten müsste. Sie hat sogar die kalifornische Gesetzgebung und verschiedene nationale Initiativen inspiriert.
Auch Australien hat sich mit seinem neuen Mediengesetz durchgesetzt. Facebook und Google müssen dort Verlage, deren Inhalte sie nutzen, an den Werbeeinahmen beteiligen. Das zeigt: Die Gesellschaften, die sich von den digitalen Großfirmen nicht erpressen lassen, sondern den Blick auf das Wohl der Menschen richten, gewinnen.
Geht das nur durch gesetzliche Verbote und Beschränkungen?
Nein, auch Regulierung kann technologiefördernd wirken. Aktuell sind meine US-amerikanischen Kolleginnen und Kollegen aufgeregt, weil Deutschland einen neuen Regulierungsrahmen für selbstfahrende Autos plant. Vollständig selbstfahrende Autos, bei denen der Fahrer aber noch am Lenkrad sitzt – also Level 4 des autonomen Fahrens – sollen in festgelegten Betriebsbereichen im gesamten nationalen Geltungsbereich erlaubt werden. In den USA ist man landesweit noch nicht so weit. Das könnte den Fokus der Innovation durchaus ein wenig nach Deutschland verlagern. Eine nationale oder EU-Gesetzgebung ist also nicht automatisch zahnlos.
II. Marktkonzentration und Monopolkontrolle
Seit einigen Jahren heißt es in Politik und Presse gern: „Wir müssen Facebook, Alphabet und/oder Amazon zerschlagen.“ So soll die Marktmacht der Quasimonopolisten begrenzt werden, die sich noch dazu den Online-Werbemarkt zu einem großen Teil untereinander aufteilen. Befürworter schlagen vor, einzelne Unternehmensteile wie WhatsApp oder Instagram bei Facebook, Youtube bei Alphabet oder AWS bei Amazon abzuspalten. Im Fall von Whats-App sei der Kauf durch Facebook von den zuständigen US- und EU-Behörden ohnehin nur unter Auflagen genehmigt worden, die später verletzt wurden.
Man kann kein Problem lösen, indem man nur seine Symptome bekämpft. Das erleben wir gerade wieder in der Pandemie: Corona heilt man nicht mit lindernden Medikamenten. Wir brauchen eine Impfung, die an die Struktur des Virus herangeht. Genauso müssen wir bei den stark konzentrierten digitalen Märkten die strukturellen Anreize beseitigen, die dafür sorgen, dass es nur wenige große Unternehmen gibt.
Wie konnte es überhaupt dazu kommen? Haben die Kartellrechtler geschlafen?
Die USA hatten lange kein echtes Interesse an harten kartellrechtlichen Eingriffen, wohl auch weil für viele Politiker eine weltweite Dominanz amerikanischer Firmen sowohl wirtschaftlich als auch geopolitisch vorteilhaft schien. Insgesamt beobachten wir aber heute, dass die Kartellbehörden weltweit die digitalen Superstarfirmen stärker im Visier haben als bisher. Dennoch: Eine Zerschlagung ist in den seltensten Fällen eine sinnvolle Lösung. Die US-Kartellbehörden haben es mit dem Telefonriesen AT&T versucht – 20 bis 25 Jahre später war AT&T größer als je zuvor.
Auch die gegenteilige Auffassung existiert: Da gibt es nichts zu tun. Die großen Tech-Konzerne wie Google und Facebook seien gar nicht so mächtig – schon morgen könne etwas erfunden werden, das sie ablöse. Solche Argumente werden häufig, wenig verwunderlich, von den dominierenden Digitalfirmen selbst vorgebracht, etwa dann, wenn sie sich gegen drohende Regulierung wehren wollen. Irgendjemand in irgendeiner Garage hat es auf uns abgesehen“, sagt beispielsweise der ehemalige Alphabet-Chef Eric Schmidt gern, wenn es um das Thema geht. „Ich weiß das, denn vor nicht allzu langer Zeit waren wir selber in so einer Garage. (…) Das nächste Google wird nicht das tun, was Google tut, so wie Google nicht das getan hat, was AOL tat.“ Auch wenn die aktuelle Stellung vielleicht marktbeherrschend sei, so die Logik, müsse gesetzlich nicht eingegriffen werden, da schon morgen ein neuer Wettbewerber aus dem Nichts erscheinen und den Markt aufmischen könnte.
Früher mag das so gewesen sein: AltaVista, Lycos und Yahoo haben sich als Suchmaschinen in der Gunst der Nutzer sehr schnell abgewechselt. Aber Google ist inzwischen seit rund 20 Jahren uneingeschränkter Weltmarkt- führer, zumindest was Suche betrifft. Allein Microsoft hat mit seiner Suchmaschine „Bing“ Milliarden versenkt, um gegen diese Vormachtstellung anzukämpfen. Wenn sich schon ein so großer Player schwertut, dann sieht man deutlich, wie fest die jeweiligen digitalen Marktführer inzwischen im Sattel sitzen.
Google hatte damals mit dem Page Rank eine radikal neue Idee, die den Suchmaschinenmarkt revolutionierte. Kann nicht morgen ein anderer wieder eine solche Idee haben?
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Text & Interview: Christoph Koch
Foto: Tingey Injury Law Firm / Unsplash