Corona, Digitalisierung und ein Nachwuchs, der mehr will als nur hohe Gehälter: Die Welt der Law Firms verändert sich radikal. Ein Gespräch über die Zukunft der Juristerei – mit David B. Wilkins, Professor an der Harvard Law School.
brand eins: Professor Wilkins, die Digitalisierung verändert auch den Beruf des Juristen – wo steht die Zunft heute?
David Willkins: Ein Großteil der Veränderungen, den die Wirtschaft, aber auch Privatpersonen in dieser Hinsicht längst erfahren haben, steht uns Juristen noch bevor. Unsere Branche ist da nicht die schnellste.
Ich sehe allerdings drei große Veränderungen, die parallel ablaufen; Digitalisierung ist eine davon und extrem bedeutsam. Globalisierung ist eine andere. Sie führt dazu, dass sich die Rechtsnormen international nach und nach angleichen, dass rechtliche Fragen zunehmend über Staatsgrenzen hinweg geklärt werden müssen – aber auch, dass sich das traditionelle Zentrum der Rechtswissenschaften vom globalen Nordwesten Richtung Süden und Osten ausdehnt. Der dritte große Trend verwischt traditionelle Grenzen: Die Trennung zwischen Recht und Wirtschaft löst sich auf. Unternehmerisches Denken wird für Anwälte immer wichtiger – umgekehrt brauchen Unternehmen zunehmend rechtliche Expertise.
Das alles verändert die Rechtsbranche grundlegend. Und die Entwicklungen werden sich noch deutlich verschärfen.
Was bedeutet das für das Verhältnis zwischen Anwälten und Klienten?
Die Position der Klienten wird stärker. Sie werden anspruchsvoller und kennen sich besser aus als früher. Auch das liegt an der Digitalisierung. Zugleich haben die internen Rechtsabteilungen an Bedeutung gewonnen. In-House-Juristen wurden ja lange als Juristen zweiter Klasse angesehen, manchmal nicht einmal als Juristen.
Heute sind die Hausjuristen von großen Firmen die wichtigsten Akteure der Branche. Die Justiziare von Siemens oder BMW etwa bestimmen, wie diese Firmen ihr Budget für Anwälte ausgeben. Sie fordern mehr Transparenz, Verantwortlichkeit und Effizienz von den beauftragten Kanzleien. Wenn sie die nicht bekommen, gehen sie mit ihren Aufträgen zu jemand anderem.
Sie bilden in Harvard Juristinnen und Juristen aus und geben die Zeitschrift „The Practice“ mit heraus, die sich um die Rechtsberufe dreht. Wohin entwickelt sich die Ausbildung von Juristen?
Ich habe mit zwei Kollegen schon vor einiger Zeit einen Aufsatz zum Thema geschrieben: „Lawyers as Professionals and Citizens“. Angehende Anwältinnen und Anwälte müssen natürlich auch künftig juristische Fähigkeiten lernen: zu argumentieren, juristische Dokumente zu lesen, rechtliche Institutionen zu verstehen. Das reicht aber nicht mehr. Sie brauchen zumindest auch einen Grundschatz an komplementären Fähigkeiten: Daten- und Risikoanalyse, Informationstechnologie, inter- kulturelle Kompetenz, Psychologie.
Es geht nicht darum, in all diesen Bereichen ein Experte zu sein, aber Anwälte von morgen brauchen ein Verständnis davon, wo sich diese Felder mit den Rechtswissenschaften überschneiden und wie sie ihren Klienten damit helfen können. Das kann auch bedeuten, dass sie mit Experten aus den genannten Feldern besser zusammenarbeiten.
Gilt das auch für den Bereich der künstlichen Intelligenz? Welche Rolle wird Legal Tech für Anwälte spielen?
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Interview: Christoph Koch
Foto: Brooks Kraft / Harvard