In ihrem Blog „Web3 is Going Just Great“ dokumentiert die amerikanische Programmiererin Molly White die Pannen, Pleiten und Betrügereien der Kryptowährungs-Szene. Ein Gespräch über falsche Anreizsysteme, ihre Rolle als Skeptikerin sowie die Parallelen zwischen Krypto- und KI-Hype.
Das Schlagwort Web3 befeuerte in den vergangenen Jahren große Fantasien. Es versprach eine neue, dezentrale digitale Welt mit ebensolchen fantastischen Geschäften. Digitale NFT-Kunstwerke erzielten Rekordpreise. Es gab auch kritische Stimmen: Sie zweifelten am Wert des NFT vom weltersten Tweet – für den jemand 2,9 Million Dollar bezahlt hatte. Sie wiesen darauf hin, dass es mit der viel beschworenen Dezentralität des Web3 nicht so weit her ist. Und dass der Begriff nur ein neues Etikett für die zahlreichen Kryptowährungs- und Blockchain-Projekte war, die seit Jahren Revolutionen versprechen.
Zu den prominentesten kritischen Stimmen gehört die Programmiererin Molly White. Sie sammelte alles, was in der Welt der NFTs, Kryptoplattformen und Blockchain-Start-ups so schiefging. Und das war eine Menge. Inzwischen ist der Hype abgeklungen. Für das Ur-Tweet-NFT wird aktuell 1,14 Dollar geboten. Molly White aber sagt, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis das Thema Web3 wieder hochkommt – vermutlich wiederum mit neuen Etikett.
Frau White, was brachte Sie 2021 dazu, mit Ihrem Blog zu beginnen?
Ein Krypto-Projekt, das so tat, als sei es ein offizieller Ableger der damals sehr erfolgreichen Netflix-Serie „Squid Game“ (siehe Glossar). Es hatte aber nicht das Geringste damit zu tun. Die Macher sammelten trotzdem mit ein paar halbgaren Ankündigungen mehrere Millionen Dollar ein und machten sich aus dem Staub. Ich hatte schon länger das Bedürfnis, die vielen lächerlichen Versprechungen, technischen Pannen und knallharten Gaunereien an einem zentralen Ort zu dokumentieren. Angesichts dieses Squid-Game-Projektes und einem NFT-Projekt, das sich an Kinder richtete, platzte mir dann der Kragen.
Beinahe über Nacht wurden Sie als eine der wenigen kritischen Stimmen im damals allgemeinen Web3-Jubel bekannt. Hatten Sie damit gerechnet?
Mein Blog wurde häufig auf Twitter weiterempfohlen und schaffte es direkt am ersten Tag auf die Startseite der Tech-Nachrichtenseite »Hacker News«. Damit hätte ich nie im Leben gerechnet.
Von 2020 bis 2022 schienen viele Menschen – von privaten Anlegern über Investorinnen bis zu Journalisten – völlig verzaubert zu sein von den Versprechungen einer neuen digitalen Welt. Woran lag das, und wieso wurden die Warnsignale von den meisten übersehen?
In dieser Zeit wurde wahnsinnig viel Geld in Marketing für Web3 gesteckt. Den meisten Journalisten fehlte es an Fachwissen, sodass sie häufig nur die Pressemitteilungen und blumigen Ankündigungen nachbeteten. Und die Leute hören gern Erfolgsgeschichten: Storys über Menschen, die über Nacht ein Vermögen machen, kommen besser an als die Frage, ob das NFT-Projekt eines Rappers auch nur einigermaßen solide programmiert ist.
Wie fühlten Sie sich in dieser Zeit der Goldgräberstimmung als Skeptikerin, die immer wieder darauf hinwies, was alles schiefläuft?
Sehr einsam. Ich wurde und werde auch immer wieder für meine Arbeit angefeindet. Aber ich hatte trotzdem von Anfang an das Gefühl, das Richtige zu tun. Denn die ganze Thematik Blockchains, Kryptowährungen und NFTs hatte sich damals aus einer kleinen Tech-Nische in den Mainstream verlagert. Es gab Superbowl-Werbespots für Krypto-Plattformen, und Stars wie Justin Bieber oder Snoop Dogg warben auf Instagram für fragwürdige Tokens und NFTs. Menschen, die überhaupt nicht wussten, worauf sie sich einließen, sollten dazu gebracht werden, ihre Sparbücher zu plündern und in fragwürdige Digital-Projekte zu investieren. Dagegen wollte ich etwas tun.
Hatten Sie nie Zweifel? Oder die Sorge, vielleicht doch falsch zu liegen und einfach nicht zu verstehen, was die Kryptoszene da Tolles machte?
Ich versuche immer, unvoreingenommen heranzugehen und nicht automatisch alles als Quatsch abzustempeln, wo Web3 draufsteht. Aber ich beschäftigte mich eben auch technisch mit diesen Dingen. Ich habe Informatik studiert, mich in Sachen Blockchains weitergebildet und weiß, wie diese funktionieren. Und so sehe ich relativ schnell, wenn Firmen Versprechnungen machen, die sie mit ihrer Technik nicht einhalten können. Meine Selbstzweifel hielten sich deshalb in Grenzen. Mich frustrierte mehr, wie sehr sich die Kryptoszene einer wirklichen Diskussion über Probleme und Fehlannahmen verweigerte.
Was sind denn die größten Probleme?
Bei Blockchain-Projekten wie Kryptowährungen oder NFTs wird meist betont, dass diese dezentral und nicht manipulierbar seien. Doch diese beiden scheinbaren Vorzüge sind für die allermeisten Anwendungsfälle entweder nicht nötig oder sogar schädlich. Solche dezentralen Lösungen sind meist teurer, langsamer und lassen sich schlechter skalieren als zentrale. Und die Tatsache, dass alles in einem öffentlichen, nachträglich nicht mehr korrigierbaren Verzeichnis gespeichert wird, ist ein Albtraum in Sachen Datenschutz und Privatsphäre. Betrügereien können nicht rückgängig gemacht werden. Löschenswertes Material wie Bilder von sexueller Gewalt an Kindern kann nicht entfernt werden. Aber all diese Einwände wischen die Krypto-Enthusiasten nur genervt beiseite, statt sie ernsthaft zu diskutieren.
Wer sind diese Krypto-Fans, die im Netz auf Kritik mit Slogans wie „Have Fun Staying Poor“ reagieren?
Grundsätzlich finden sich alle Arten von Menschen in dieser Szene. Aber das Klischee, der hypermaskulinen „Krypto-Bros“ existiert nicht von ungefähr. Häufig sind es Typen, die sich für deutlich klüger halten als den Durchschnitt und die der Gedanke fasziniert, ohne viel Arbeit blitzschnell superreich zu werden. Dass dieser Reichtum – wenn er sich denn einstellt – auf Kosten anderer geht, stört sie auch nicht. Es sind also nicht unbedingt die empathischsten Menschen. Diese Kombination führt zu einer Wagenburg-Mentalität: wir gegen die. Die Überzeugten werden immer missionarischer und feinden die Skeptischen immer stärker an. Das bringt sehr unsympathische Wesenszüge in den Leuten hervor und führt schnell zu einer sektenartigen Stimmung mit eigenem Jargon, Misstrauen und Feindseligkeit gegenüber dem Rest der Gesellschaft.
Warum waren die Fürsprecher trotz ihrer unangenehmen Art zumindest eine Weile so erfolgreich und die Kritikerinnen und Kritiker so wenige und so leise?
Das Hauptproblem sind ungünstig verteilte Anreize: Viele Firmen hatten viel Geld in Web3-Projekte investiert. Also wurden PR-Firmen und prominente Testimonials bezahlt und eine Menge Werbe- und Sponsoring-Geld in die Hand genommen, um das Ganze gut aussehen zu lassen. Auf der skeptischen Seite gab es nicht annähernd dieselbe Finanzierung und auch keine Organisationen, die Menschen dafür bezahlen, solche Tech-Trends unvoreingenommen zu analysieren.
Wie ließe sich das ändern?
Die Universitäten könnten sich der Thematik stärker annehmen. Öffentliche Investitionen oder gemeinnützige Organisationen wären eine andere Möglichkeit.
Kennen Sie ein Blockchain-Projekt, das sinnvoll und erfolgreich ist?
Es gibt eine Menge Projekte, die einem kleinen Kreis von Leuten viel Geld eingebracht haben. Je nachdem, wen man fragt, zählt das schon als Erfolg. Aber wenn das Kriterium ist, dass ein solches Projekt von vielen Leuten regelmäßig genutzt wird und es ein Problem besser löst, als es ohne Blockchain gelöst werden könnte, dann fällt mir keines ein.
Ende 2022 ging die Kryptowährungs-Börse FTX pleite, und es stellte sich heraus, dass Milliarden Dollar verschwunden sind. Was denken Sie über den Fall? Waren der Gründer Sam Bankman-Fried und seine Mistreiter komplett überfordert? Oder steckt kaltblütiger Betrug dahinter?
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Interview: Christoph Koch
Foto: Molly White