Die South by Southwest, kurz SXSW, ist wohl die schillerndste Konferenz für Digitaltechnologie, Film und Musik. Corona versetzte ihr einen harten Dämpfer, doch 2023 fand sie im texanischen Austin zur alten Bestform zurück. Das alles überschattende Thema war natürlich künstliche Intelligenz, aber ihre große Qualität blieben die vielen kleinen Begegnungen, mit denen niemand rechnet.
Am Tag vor Konferenzbeginn ist es in Austin ruhig. Nur ein kleines Detail weist darauf hin, was kommen wird: Laternenpfähle und Ampeln, Parkscheinautomaten und die Säulen des Convention Centers sind in Klarsichtfolie eingewickelt. Der Grund: Wenn in zehn Tagen die SXSW zu Ende geht, werden sie übersät sein mit Plakaten von Tech-Podcasts, Flyern von KI-Start-ups und Aufklebern, die für das nächste große Ding werben – und die dank der Folien schnell und rückstandslos wieder entfernt werden können. Je nach Zählweise werden dann bis zu 345 000 Menschen Hunderte von Vorträgen, Paneldiskussionen, Konzerte und Filmpremieren besucht haben. Denn die South by Southwest, wie das Festival in Anlehnung an einen Filmklassiker von Alfred Hitchcock offiziell heißt, ist nicht nur eine Digitalisierungskonferenz, sondern auch ein Festival für Musik und Film.
„Das Besondere ist, dass Sphären, die sonst wenig miteinander zu tun haben, sich hier miteinander vermischen und voneinander lernen“, sagt Bob Woody und nimmt einen Schluck Eistee. Aktuell sähe man das etwa deutlich beim Thema Video- und Musikstreaming, aber auch bei der Frage, wann KI die ersten Filmdrehbücher schreibt.
Der weißhaarige Woody steht in einem leeren Konzertsaal neben der Bühne, trägt ein Poloshirt und grinst vergnügt. Er lebt seit 1972 in der texanischen Hauptstadt und ihm gehören mindestens zehn Veranstaltungsorte in der Stadt, viele davon auf der zentralen Partymeile, der 6th Street. Hier im „Coppertank“, seinem größten Standort, hatte Woody nach eigenen Angaben schon Stars wie Justin Timberlake, Kanye West und Nora Jones zu Gast. Er veranstaltet Events für Techfirmen von Samsung bis Mashable. „Und auf dem Parkplatz genau hinter dieser Wand“ – Woody zeigt auf die Backsteinmauer hinter der Bühne – „wurde Twitter 2007 quasi über Nacht berühmt.“
Aufmerksamkeit: flüchtig und umkämpft
Die gute alte Twitter-Legende. Sie darf nie fehlen, wenn über die SXSW gesprochen wird. Tatsächlich habe so gut wie niemand in den ersten Monaten nach dem Start 2006 getwittert, erzählte der Twitter-Mitgründer Evan Williams später in einem Interview. Erst die „South-by“, wie sie vor Ort genannt wird, habe 2007 für einen riesigen Popularitätsschub bei der tech-affinen Zielgruppe gesorgt.
Auch 2023 wird der Wettbewerb um die Aufmerksamkeit der Besucher und Besucherinnen wieder mit harten Bandagen geführt. Am dritten Konferenztag zum Beispiel scheint eine durchgeknallte Sekte vor dem Convention Center zu demonstrieren. Doch der lautstarke Auftritt stellt sich jedoch als PR-Stunt für den neuen Film von Keanu Reeves heraus, der am Tag darauf im Rahmen der SXSW Premiere feiert.
Die Cyber-Security-Firma Aura wiederum lässt Filmstar Robert Downey jr. eine Podiumsdiskussion zum Thema Online-Kriminalität moderieren. Das scheint zu passen, denn er spielte in den „Iron Man“-Filmen den Unternehmer und Superhelden Tony Stark. Den wahren Grund legt er jedoch erst nach einigen Minuten vor einem Saal voller gezückter Smartphones offen: Er ist kurz zuvor als Investor und Aufsichtsratsmitglied in das Unternehmen eingestiegen.
Aufmerksamkeit ist bei der SXSW die wichtigste Währung. Und die muss sich auf dermaßen viele Veranstaltungen verteilen, dass das Convention Center davon längst überfordert und das Festival in die Tagungsräume der umliegenden Hilton- und Marriott-Hotels, in Bars und extra für die wilden Tage angemieteten Event-Räume übergeschwappt ist.
„Kandierte Kokain-Nuggets“
Doch nicht immer gelingt es, die Hype-Rakete zur richtigen Zeit zu zünden oder sie wirklich bis zu den Sternen fliegen zu lassen. Wer erinnert sich noch an die Geolocation-App „Highlight“ oder die Kurzvideoplattform „Meerkat“, die 2012 beziehungsweise 2015 kurz für Furore sorgten? Oder an die koffeinhaltigen Kaubonbons des Start-ups Go Cubes, die, wie 2016 die New York Times berichtete, mit „kandierten Kokain-Nuggets“ verglichen wurden und die Konferenz im Sturm eroberten? Mit Abstand betrachtet, sind es eher Trends als einzelne Firmen, die es schaffen, das Grundrauschen zu durchdringen und einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen.
Das große, alles überstrahlende Thema der diesjährigen SXSW ist zweifelsohne das Thema künstliche Intelligenz. Genauer gesagt generative KI, also Technologien wie ChatGPT und Bard für Texterstellung oder Midjourney, Dall-E und Stable Diffusion für das Generieren von Bildern. In vielen der Veranstaltungen geht es dezidiert um die Auswirkungen dieser Technologie.
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Text & Fotos: Christoph Koch