„Optimismus kann man lernen.“ Interview mit Kevin Kelly

Written by on 13/02/2024 in brand eins with 0 Comments

Wired-Gründer Kevin Kelly zählt seit den 80er-Jahren zur digitalen Avantgarde. Auch in das Thema künstliche Intelligenz hat sich der 71-jährige Kalifornier begeistert gestürzt. Im Gespräch erzählt er von der alten Panik vor neuen Technologien, dem Malen nach Algorithmen und dem Countdown seines Lebens.

Herr Kelly, haben Sie heute schon mithilfe künstlicher Intelligenz (KI) gemalt?

Nein, heute noch nicht (lacht). Hier in Kalifornien ist es auch erst neun Uhr morgens. Aber gestern Abend war ich wieder dran!

Bei Ihrem Vortrag auf der diesjährigen SXSW-Konferenz haben Sie erzählt, dass Sie seit fast einem Jahr jeden Tag Bilder unter Beteiligung von generativer, also schöpferischer KI erstellen. Wie nennen Sie diesen Vorgang?

Ich sage meistens: I am arting. Die Ergebnisse sehen oft aus wie Gemälde, aber der Vorgang, die Position, die ich einnehme, ähnelt eher der Fotografie. Ich bewege mich durch einen virtuellen Raum und jage nach den Bildern – so, wie ich als Fotograf nach Motiven suche. In der Malerei arbeitet man länger an einem Werk.

Foto von Kevin Kelly auf der Bühne bei der SXSW-Konferenz 2023

Mit welchem Tool haben Sie gestern gearbeitet?

Ich habe mit der Funktion „Generative Füllung“ in Photoshop herumgespielt. Damit lassen sich Fotos erweitern. Die KI ergänzt, wie das Bild links, rechts oder oben weitergehen könnte. Oder man entfernt etwas aus dem Bild, einen Menschen oder ein Auto zum Beispiel, und die KI schlägt vor, was sich hinter dem entfernten Objekt befunden hat, wie das Bild also ohne das Auto aussieht. Ich habe Fotos, die ich vor vielen Jahren in Asien gemacht habe, mit der Funktion bearbeitet und war beeindruckt. Bei dieser Form von generativer KI erstellen wir nicht etwas komplett Neues, sondern modulieren, was wir bereits erschaffen haben.

In der Regel funktionieren Bild-KIs wie Midjourney, Dall-E oder Stable Diffusion mit Prompts, also Textanweisungen. Was haben Sie im Lauf Ihrer Arting-Experimente darüber gelernt?

Ich folge Menschen auf Instagram und in anderen Netzwerken, die ebenfalls regelmäßig KI-Bilder erstellen, da gibt es riesige Unterschiede. Manche sind viel besser als andere und können wirklich sensationelle Kunstwerke schaffen. Sie werden oft gefragt „Was war das Prompt?“, aber ich weiß inzwischen, dass es nicht die eine magische Kombination von Wörtern gibt, die du eintippen musst, um etwas Brillantes zu kreieren.

Sondern?

Man muss selbst anfangen, wie eine KI zu denken. Das bedeutet, wortwörtlich zu denken und sich zu fragen, was die KI hören möchte. Und man muss einfach viel ausprobieren. Ich glaube, ich bin mit der Zeit ein ganz geschickter KI-Flüsterer geworden. Ich habe ein gutes Gespür dafür entwickelt, welche Kommandos das Ergebnis bringen, das ich mir wünsche. Aber auch ich komme an meine Grenzen.

In welchen Momenten?

Neulich hatte ich ein konkretes Bild im Kopf, aber die KI brachte einfach nicht das gewünschte Ergebnis. Theoretisch können diese Algorithmen zwar jedes vorstellbare Motiv produzieren – aber es muss nicht nur denkbar, sondern eben auch „sagbar“ sein.

Ein menschlicher Künstler malt ohne Umweg, was in seinem Kopf ist. Doch Prompts sind derzeit noch sprachbasiert – was wir nicht in Worte fassen können, können wir bei der KI auch nicht in Auftrag geben. Die KI-Schnittstellen werden sich aber bald in diese Richtung verändern. Die erwähnte „Generative Füllung“ in Photoshop kommt bei einigen Funktionen schon ohne Ansage aus.

Kein Thema hat 2023 die Tech-Branche so dominiert wie generative, also schöpferische KI. Sind denn Modelle wie ChatGPT wirklich so viel besser als die KI-Systeme davor?

Nur teilweise. Vieles konnten die Plattformen schon eine Weile, aber erst jetzt sind ihre Fähigkeiten jedem zugänglich. Sie zu nutzen ist auch ohne Programmierkenntnisse möglich und mit Einschränkungen kostenfrei. Das hat ähnliche Effekte wie die Entwicklung des Browsers und des World Wide Web: Das Internet gab es auch schon vorher, aber erst die grafische Schnittstelle brachte den Durchbruch. Und wenn nicht mehr nur 20 Forschende eine Anwendung nutzen, sondern 20 Millionen Menschen, wird viel mehr und viel schneller Neues ausprobiert und entdeckt. Trotzdem glaube ich, dass wir bei KI auf eine Art Plateau zusteuern und dort erst mal verharren werden.

Warum?

Weiterlesen auf brandeins.de

Interview und Foto: Christoph Koch

Tags: , , , , , , , , , , , ,

About the Author

About the Author: Christoph Koch ist Journalist (brand eins, GEO, NEON, Wired, GQ, SZ- und ZEIT-Magazin, Süddeutsche, etc.), Autor ("Ich bin dann mal offline" & "Digitale Balance" & "Was, wäre wenn ...?") sowie Moderator und Vortragsredner. Auf Twitter als @christophkoch unterwegs, bei Mastodon @christophkoch@masto.ai .

Subscribe

If you enjoyed this article, subscribe now to receive more just like it.

Subscribe via RSS Feed

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Top

Entdecke mehr von Christoph Koch

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen