Lange hatte Papst Franziskus es vermieden, sich in der Diskussion um den Zölibat klar zu positionieren. Doch im März 2023 bezeichnete er in einem Interview die Ehelosigkeit der Priester als eine „provisorische“ und „zeitliche Vorschrift“, die durchaus revidierbar sei. „Es liegt kein Widerspruch darin, dass ein Priester heiraten kann“, so der 86-Jährige. Was wäre also, wenn der Zölibat tatsächlich abgeschafft würde?
Das Buch
“Was wäre, wenn…?
33 Szenarien, die unsere Welt neu denken”
jetzt bestellen!
Auch wenn der Zölibat oft mit dem ehelosen Leben von Jesus Christus begründet wird, finden sich in der Bibel keine Hinweise darauf, dass er seinen Aposteln Anweisungen gab, enthaltsam zu leben – oder diese das getan hätten. „Der Zölibat lässt sich biblisch nicht begründen, denn im Neuen Testament gibt es selbstverständlich verheiratete Bischöfe, Priester und Diakone“, schreibt Hubert Wolf, Professor für Kirchengeschichte an der Universität Münster, in seinem Buch „Zölibat: 16 Thesen“. Die Bibel erwähnt auch die Schwiegermutter des Apostels Petrus – folglich hatte er eine Ehefrau.
Der Zölibat entwickelte sich erst nach und nach. „Von Asketen und Mönchen ausgehend wurde die Ehelosigkeit im Hochmittelalter für die Priester in den Gemeinden verbindlich gemacht“, sagt Barbara Stollberg-Rilinger, Historikerin und Rektorin des Wissenschaftskollegs in Berlin. „Archaische Vorstellungen von ,unreinen‘ Frauen, mit denen sich die Geistlichen nicht ,vermischen‘ sollten, spielten dabei eine wichtige Rolle.“ Gleiches gilt für Geld: Wenn Priester – zumindest offiziell – keinen Nachwuchs zeugen konnten, gab es keine Erben, und ihr Vermögen fiel der Kirche zu.
Zusammenhang zwischen Zölibat und Missbrauch?
Der Zölibat steht heute unter anderem wegen der zahlreichen Fälle sexualisierter Gewalt in der Kritik. Allein in Frankreich wurden laut einer Untersuchung seit den Fünfzigerjahren rund 216 000 Kinder und Jugendliche – meist Jungen im Alter zwischen 10 und 13 Jahren – Opfer von sexualisierter Gewalt durch katholische Geistliche. Papst und Kirche bestreiten einen Zusammenhang zum Zölibat. Untersuchungen wie die 2018 von der Deutschen Bischofskonferenz in Auftrag gegebene MHG-Studie kommen zu einem anderen Ergebnis: Es gebe zwar keinen klaren kausalen Zusammenhang zwischen Zölibat und sexualisierter Gewalt, doch könne die katholische Kirche mit ihren Strukturen und Regeln für Menschen mit einer unreifen Sexualität sehr anziehend wirken. Auch sei auffällig, dass es bei Diakonen – die nicht zölibatär leben müssen – seltener zu Missbrauchsvorwürfen komme als bei Diözesanpriestern.
Internationale Untersuchungen schätzen den Anteil an Tätern unter Priestern und zölibatären Mönchen auf 6 bis 9 Prozent – deutlich höher als in der Durchschnittsbevölkerung. Selbstverständlich macht der Zölibat niemanden pädophil. Die Möglichkeiten, pädophile Handlungen auszuüben, könnten in der Priesterschaft aber überrepräsentiert sein. Das Ende des Zölibats könnte dieses Problem lösen, das Priesteramt für mehr Männer interessant machen und die Nachwuchsprobleme der katholischen Kirche lindern.
Weiterlesen auf brandeins.de …
Foto: Debby Hudson auf Unsplash