Warum vergeht die Zeit schneller, wenn wir älter werden?

Written by on 26/03/2024 in brand eins with 2 Comments

Warum warten wir nicht gern? Wieso scheint die Zeit umso schneller zu verfliegen, je älter man wird? Und der Rückweg immer kürzer zu sein als der Hinweg? Ein Gespräch mit der Psychologin Isabell Winkler.

Frau Winkler, haben wir Menschen ein natürliches Gespür für Zeit? Und was ist Zeit an sich?

Die Wahrnehmung von Zeitdauern ist uns Menschen angeboren, genau wie die Wahrnehmung von Helligkeit oder Lautstärke. Schon Säuglinge können Unterschiede in Zeitdauern wahrnehmen und darauf reagieren. Die menschliche Zeiteinteilung in Stunden und Minuten oder einen Zeitpunkt wie zwölf Uhr mittags lernen Kinder ab dem Alter von etwa vier Jahren nach und nach zu verstehen. Bei der Frage, was Zeit an sich ist, wird es aber schnell philosophisch.

Eine Minute kann unterschiedlich lang sein, je nachdem ob man in einem spannenden Kinofilm oder in einer Eiswanne sitzt. Woran liegt das?

Dieses Geheimnis ist nicht vollständig gelöst, wir erforschen noch die kognitiven Prozesse, die da ablaufen. Die populärste wissenschaftliche Erklärung ist das sogenannte Attentional Gate Model. Es geht davon aus, dass wir Menschen einen Taktgeber besitzen, eine Art innere Uhr, die regelmäßig Signale abgibt. Die Zeit nehmen wir wahr, indem wir auf diese Takte achten und sie innerlich mitzählen.

Kann sich dieser Takt beschleunigen oder verlangsamen?

Ja, wenn wir uns in einem Zustand befinden, den die Forschung Arousal nennt. Das kann man mit Erregung übersetzen, also eine körperliche oder emotionale Aktivierung. Diese kann zum Beispiel entstehen, wenn wir Liegestütze machen oder uns erschrecken. In diesem Zustand beschleunigt der innere Taktgeber, und unsere innere Uhr produziert mehr Signale in der gleichen Zeitspanne.

Was heißt das für unser Empfinden?

Die Zeit kommt uns dadurch länger vor. Das kann man sich gut vorstellen, wenn man eine schwere Einkaufstüte die Treppe hochträgt oder unter einer eisigen Dusche steht. Da vergeht die Zeit eher langsam. Der innere Takt hat nichts mit unserem Puls zu tun. Das könnte man denken, weil der Puls beim Treppensteigen ansteigt. Aber wir konnten in Versuchen das Arousal erhöhen, ohne das Herz schneller schlagen zu lassen – der innere Takt erhöhte sich dennoch. Es gibt aber noch einen zweiten Faktor, der für unser Zeitempfinden wahrscheinlich noch wichtiger ist.

Nämlich?

Unser Bewusstsein – also das, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten. Ein Beispiel: Wenn wir auf einen Bus warten, ist das Tor unserer Aufmerksamkeit sehr weit geöffnet. Das heißt, wir bekommen jeden unserer inneren Takte mit. Wenn wir im umgekehrten Fall abgelenkt sind, zum Beispiel weil wir einen spannenden Film sehen oder ein Geschicklichkeitsspiel spielen, das unsere Aufmerksamkeit bindet, dann verpassen wir viele dieser inneren Takte. Und die Zeit scheint schneller zu vergehen oder geradezu verflogen zu sein, wie man auch sagt.

Das wären dann auch die berühmten Flow-Erlebnisse?

Genau. Wenn wir ganz in einer Tätigkeit aufgehen und diesen sogenannten Flow-Zustand erleben, dann tickt unsere innere Uhr fast ungehört vor sich hin – und wenn wir aus diesem Flow-Zustand rauskommen, sind wir überrascht, wie viel Zeit vergangen ist. Trotzdem ist das Attentional Gate Model nicht eindeutig bewiesen. Es ist nur die bislang beste Erklärung, die wir haben. Ich forsche gerade daran, wie sich Arousal und Aufmerksamkeit gegenseitig beeinflussen und ob vielleicht am Ende nur eines davon wirklichen Einfluss auf unser Zeitempfinden hat.

Ist das bei allen Menschen gleich, oder gibt es unterschiedliche Zeit-Typen?

Es gibt zum einen Hirnschäden oder degenerative Erkrankungen in bestimmten Arealen, die dafür sorgen, dass die Betroffenen Zeit gar nicht mehr gut wahrnehmen können. Und es gibt einige Persönlichkeitsmerkmale, die mit der Zeitwahrnehmung zusammenhängen. Untersuchungen zeigen eine Tendenz, dass impulsive Menschen Zeitspannen überschätzen. Ihr Zeitempfinden ist in bestimmten Situationen, beispielsweise beim Warten, langsamer als bei nicht impulsiven Menschen. Auch für depressive Menschen scheint die Zeit langsamer zu vergehen als für Nichtdepressive.

Es gibt zahlreiche Studien, für die man Menschen warten lässt, und am Ende sollen sie schätzen, wie lange sie gewartet haben, und erklären, wie sie das Warten erlebt haben. Darunter ist aber sehr viel statistisches Rauschen.

In der Regel hat die jeweilige Situation, in der man Zeit erlebt, einen deutlich größeren Einfluss auf das Zeitempfinden als Persönlichkeitsmerkmale. Geschlecht und Alter spielen beispielsweise nur eine geringe Rolle.

Aber es gibt doch das verbreitete Gefühl, dass die Zeit umso schneller vergeht, je älter wir werden.

Das stimmt und beginnt übrigens schon bei Studierenden, die den Eindruck haben, dass ihre Lebenszeit schneller verstreicht als im Kindesalter. Aber dabei handelt es sich um eine Beurteilung in der Rückschau. Also etwa dieses Gefühl „Ach, es ist schon wieder Herbst, das kann doch gar nicht sein, dass schon wieder ein Jahr vergangen ist.“ Der Fachbegriff dafür ist retrospektives Zeitwahrnehmen.

Woran liegt es, dass unser retrospektives Zeitwahrnehmen sich so stark wandelt?

Weiterlesen: brandeins.de
Foto: Will Stewart / Unsplash

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About the Author

About the Author: Christoph Koch ist Journalist (brand eins, GEO, NEON, Wired, GQ, SZ- und ZEIT-Magazin, Süddeutsche, etc.), Autor ("Ich bin dann mal offline" & "Digitale Balance" & "Was, wäre wenn ...?") sowie Moderator und Vortragsredner. Auf Twitter als @christophkoch unterwegs, bei Mastodon @christophkoch@masto.ai .

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  1. heibie sagt:

    ich kann irgendwie den brand1 Link nicht klicken.

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