Immer wieder versprechen Start-Ups, die großen Probleme unserer Zeit zu lösen – und scheitern. Deshalb soll die eigens dafür gegründete Bundesagentur SPRIND Innovationen auf die Welt helfen: vom grünen Beton bis zur Idee eines Rentners für ein spektakuläres Riesen-Windrad.
Eine Innovation ist im Grunde ganz einfach. Sagen wir: Erfinde eine bessere Mausefalle – und die Menschen werden dir die Tür einrennen. So in etwa lautet das Credo von Managementberatungen, Change-Seminaren und Gründermessen. Auch im Silicon Valley ist die Erzählung des Genies extrem beliebt, das in einer Garage etwas Welterschütterndes austüftelt. Damit dessen Vision Realität werden kann, braucht es dann nur noch genug Risikokapital. Und schwups – schneller, als man Tesla, Paypal oder Google sagen kann, ist eine Innovation entstanden. Und die Welt ist eine neue, bessere.
Doch das stimmt so nicht. Das iPhone ist dafür ein gutes Beispiel. Immer wieder wird der Moment beschworen, in dem Steve Jobs auf einer Bühne in San Francisco das kleine Gerät aus der Tasche zog und es der Welt als »Telefon, Musikplayer und Internetgerät in einem« präsentierte. Genial! Doch alles, was dieses Gerät zu einer solchen Umwälzung machte, von den Mikroprozessoren über den Multitouchscreen und dem Akku bis zum Internet an sich, sind keine Entwicklungen von Steve Jobs und seinem Team. Es sind staatlich geförderte Erfindungen. Doch darüber spricht kaum jemand. Denn die Geschichte von den agilen, einfallsreichen Start-ups und dem trägen, einfallslosen Staat erzählt sich flockiger. Und angesichts oft zäher Bürokratie in manchen staatlichen Einrichtungen glaubt man sie auch gern.
Immer wieder versprechen Start-ups und ihre Geldgeber, dass ihre technischen Neuerungen die großen Nöte unserer Zeit lösen. Social Media sollte – Arabischer Frühling! – die Demokratie fördern. Kryptowährungen sollten zu einem gerechteren Finanzsystem beitragen. Onlineplattformen wie Airbnb, Fiverr oder Uber erklärten, mit ihnen ließen sich Ressourcen der Allgemeinheit zugänglich machen und Menschen könnten sich unkompliziert etwas dazuverdienen. Doch kritisch betrachtet förderten die sozialen Medien vor allem Populismus und gesellschaftliche Zwietracht. Kryptowährungen vereinfachten Betrug und führten zu absurder Energieverschwendung. Und die genannten Onlineplattformen schufen eine neue Form des Prekariats und einen leer gefegten Wohnungsmarkt.
Nicht jede Art von Innovation, die »der Markt« hervorbringt, hat also einen nachhaltig positiven Effekt auf die Gesellschaft. Gleichzeitig beruhen viele entscheidende Entwicklungen, vom iPhone über chirurgische Lasertechnik bis zum mRNA-Impfstoff, auf staatlich geförderter Grundlagenforschung. Wäre es demnach abwegig, über ein staatliches Innovationsprogramm nachzudenken? Schon klar: Ministerienflure, Sitzungsräume, Ausschusssitzungen – das klingt nach Orten, die Ideen zum Sterben aufsuchen. Trotzdem gibt es seit Oktober 2019 die »Bundesagentur für Sprunginnovation«, abgekürzt SPRIND. Ausgedacht hat sie sich noch die Regierung Merkel.
»Sprunginnovationen sind Ideen, welche die Welt in ein Vorher und ein Nachher teilen«, sagt Rafael Laguna de la Vera, der 60-jährige Direktor der SPRIND, beim Interview in einem Café in Berlin. »Es sind Innovationen, die unser Leben tatsächlich besser machen und die als wichtige Grundlage für weitere Erfindungen und Fortschritt dienen. Denken Sie an die Druckerpresse, an Penicillin oder den Kompass.« Laguna lebt in Köln, die Agentur sitzt in Leipzig. Unterstellt ist sie jedoch sowohl dem Wirtschafts- als auch dem Forschungsministerium in Berlin. Laguna, fast immer komplett in Schwarz gekleidet, ist deshalb oft in der Hauptstadt. 220 Millionen Euro beträgt das Budget der SPRIND in diesem Jahr – ungefähr so viel, wie der Bund für die Sanierung kommunaler Sportstätten aufwendet. Der Deutsche Wetterdienst bekommt fast doppelt so viel.
Laguna stammt ursprünglich aus der DDR. Als er zehn Jahre alt war, durfte die Familie wegen des spanischen Passes seines Vaters ausreisen und zog ins Sauerland. 1980, da war Laguna 16, gründete er die erste von mehreren Softwarefirmen. Er beriet Venture-Capital-Firmen, war Interimsmanager und saß in Aufsichtsräten. Vor seiner Stelle als SPRIND-Direktor leitete er zwölf Jahre lang die von ihm mitgegründete Open-Xchange AG, einen Anbieter für Kommunikationssoftware. Weltweit verschicken 2,7 Milliarden Menschen ihre Mails über Server, die mit Open-Xchange-Programmen laufen.
Auf die Frage, wie eine Sprunginnovation heute aussehen müsste, die unsere Welt in ein Davor und Danach teilt, lässt Laguna einen länger nicht mehr zu Wort kommen. Er will mit der SPRIND eine Menge umkrempeln. Beispiel: Zement. »Dessen Herstellung verursacht acht Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes. Hätten wir klimaneutralen Zement, würde das nicht nur die Bauindustrie grundlegend verändern, sondern jeden Bereich, in dem Gebäude gebraucht werden.« Beispiel: CO2-Entfernung. »Selbst wenn es uns gelingt, unsere Emissionen massiv zu senken, müssen wir auch das schon in der Atmosphäre befindliche CO2 reduzieren, um die Erderwärmung zu verhindern. Wir suchen also nach bezahl- und skalierbaren Lösungen, CO2 aus der Atmosphäre zu holen. Das geht technisch bereits, aber die bisherigen Ansätze sind noch viel zu teuer.« Beispiel: Alzheimer-Demenz. »Alzheimer ist eine der tragischsten und teuersten Krankheiten. Doch es gibt neuartige Ansätze, sie zu verlangsamen und sogar zu heilen. Deren Erforschung finanzieren wir und machen die Erkenntnisse der Gesellschaft zugänglich.«
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Text: Christoph Koch
Foto: SPRIND