Der Mutmacher: Rafael Laguna & die SPRIND

Written by on 07/01/2025 in Süddeutsche with 0 Comments

Rafael Laguna, Chef der Agentur für Sprunginnovationen, soll zeigen, dass der Staat besser darin ist, wichtige Neuerungen in die Welt zu bringen, als ihm die meisten zutrauen. Keine leichte Aufgabe.

Der Ort für die Fünfjahresfeier ist passend gewählt. In den Leipziger Pittlerwerken wurden Ende des 19. Jahrhunderts über 200 Patente im Bereich Maschinenbau ertüftelt, die den industriellen Aufschwung jener Zeit förderten. Genau diese Gründerzeit, diesen Erfindergeist, der die deutsche Wirtschaft einst groß machte, will Rafael Laguna de la Vera wieder neu erwecken.

Der 60-Jährige steht der Bundesagentur für Sprunginnovationen (Sprind) vor. Diese sitzt rund sieben Kilometer Luftlinie entfernt von den Pittlerwerken ebenfalls in Leipzig. Im Industrie-Backstein-Ambiente der alten Werkzeugmaschinenfabrik feiert sie an einem Donnerstag im Oktober mit rund 500 geladenen Gästen ihren fünften Geburtstag.

„Staatlich geförderte Innovation – wie soll das gehen?“, fragt Bundeskanzler Olaf Scholz per Gratulationsvideo. Und gibt gleich selbst die gönnerhafte Antwort: „Lieber Herr Laguna de la Vera – so, wie Sie das machen. Genau so geht das!“ Aber die Frage ist durchaus berechtigt. Denn ist der Staat nicht diese unflexible Monsterbürokratie, die alle wirklich guten und innovativen Ideen im Keim erstickt? Die gute Ansätze zwischen endlosen Behörden- und Ministerienfluren und bitte per Fax einzureichenden Formularen einfach verhungern lässt? „Gerade die Start-up- und Venture-Capital-Szene erweckt gerne den Eindruck, als seien private Investoren viel besser geeignet, um große Innovationen in die Welt zu bringen“, sagt Laguna. „Aber das stimmt in sehr vielen Fällen einfach nicht – und ich sage das als jemand, der selbst lange Teil dieser Welt war.“

„Sprunginnovationen erkennt man daran, dass man sich hinterher kaum noch vorstellen kann, wie das Leben vorher war.“

Und tatsächlich: Viele der wirklich bahnbrechenden Neuerungen, vom chirurgischen Laser über das Smartphone und die GPS-Navigation bis zum mRNA-Impfstoff, fußen entweder auf staatlicher Förderung oder Grundlagenforschung. Die italienische Ökonomin Mariana Mazzucato räumt in ihrem Buch „The Entrepreneurial State“ mit dem Mythos „träger Staat versus agile Privatwirtschaft“ auf. Vereinfacht gesagt: Da, wo eine schnelle Rendite zu erwarten ist – eine weitere Dating-App, noch ein Online-Shop –, ist der private Kapitalmarkt sofort mit dem Scheckbuch zur Stelle. Dort, wo es mühsamer und langwieriger wird und die Gefahr des Scheiterns hoch ist, da zögern die sich gerne risikoaffin gebenden Wagniskapitalfirmen. Gerade die sogenannten Sprunginnovationen – häufig medizinische Forschung, komplexe Hardware, große Energieanlagen – benötigen jedoch nicht nur eine visionäre Idee, sondern auch viel Zeit bis zu einer eventuellen Rendite.

Da kommen Laguna und die Sprind ins Spiel. „Sprunginnovationen erkennt man daran, dass man sich hinterher kaum noch vorstellen kann, wie das Leben vorher war“, erklärt Laguna den Begriff. „Sie sind außerdem etwas so Neues, dass es zunächst noch keinen Markt für sie gibt. Den müssen sie erst selbst erschaffen.“ Staatliche Unterstützung könne dabei helfen, diese Phase zu überbrücken, in der der Markt versagt. Laguna – schwarze Kleidung, grauer Stoppelbart, Tesla-Fahrer seit über zehn Jahren – nennt es „das Tal des Todes“.

Laguna selbst stammt, wie er es nennt, aus einer „Multikulti-Unternehmer-Freiberufler-Familie“. Seine Urgroßmutter und deren zweiter Ehemann besaßen eine Maschinenfabrik im sächsischen Pegau. Sein spanischstämmiger Vater und seine deutsche Mutter arbeiteten in der DDR als Dolmetscher. 1964 wurde Laguna geboren. Als er zehn Jahre alt war, ermöglichte die spanische Botschaft in Ostberlin die Ausreise aus der DDR. Die Familie ließ sich im Sauerland nieder, seine Eltern starteten mit Californian Products eine der ersten deutschen Skateboardfirmen, Laguna selbst sagt: die Erste.

Über einen Onkel in Los Angeles kam Laguna ab 1976 mit den ersten Personal Computern in Berührung. Er wurde Hacker und Computerbastler. 1980 gründete er seine erste eigene Firma Elephant Software, mit der er Software aus den USA importierte und eigene Programme entwickelte. Nach dem Zivildienst versuchte er sich kurz als Kinobetreiber. Dann entwickelte er für eine IT-Firma in Olpe ein PC-Kassensystem für den Getränkefachhandel. Ein Informatikstudium brach er ab.

Seine nächste Firma Micado verkaufte er 1995 für viel Geld in die USA. Nach einigen Jahren als leitender Angestellter in Columbia im US-Bundesstaat South Carolina kehrte Laguna nach Deutschland zurück und stieg mit Firmen wie Suse Linux und Netline ins Open-Source-Geschäft ein, so nennt man Software, deren Quelltext öffentlich ist. Die von ihm 2005 gegründete Softwarefirma Open-Xchange beliefert Großkunden wie 1&1 oder Strato. Weltweit laufen etwa 75 Prozent der E-Mailserver mit Software von Open-Xchange.

Die Sprind fand lange keinen Chef – bis sich Laguna selbst bewarb

Als die Regierung unter Angela Merkel 2018 beschloss, eine Agentur für Sprunginnovationen einzurichten, wie es sie in den USA und Großbritannien bereits gibt, wurde Laguna Teil der zwölfköpfigen Gründungskommission. Diese fand jedoch trotz monatelanger Suche niemanden, der eine solche Agentur leiten wollte. Schließlich verließ Laguna die Kommission und bewarb sich selbst um die Leitung der Sprind, die Ende 2019 als GmbH des Bundes gegründet wurde. Nötig hatte er den Posten sicherlich nicht. In seinen verschiedenen Rollen als Gründer, Investor, Interimsmanager und Berater von Venture-Capital-Firmen hat Laguna eine Menge Geld verdient. Vielleicht ist das der Grund, warum er den Job mit gleichen Teilen Entspanntheit und Humor ausübt. „Eine Mischung aus Galeere und Schokoladenfabrik“, so lautet seine Standardbeschreibung. Galeere wegen der – zumindest anfangs – wohl recht rigiden Vorgaben von öffentlichem Vergaberecht und einzubeziehenden Ministerien. Schokoladenfabrik, weil es jeden Tag etwas zu staunen und probieren gibt.

Es gibt verschiedene Arten, wie Ideen zur Sprind kommen. Zum einen kann sich jede und jeder mit einer innovativen Idee bewerben. So tat es der inzwischen verstorbene Ingenieur Horst Bendix: Unmittelbar nach der Gründung der Sprind sprach dieser mit dem Konzept eines Riesenwindrads bei Laguna vor. Da der Wind weiter oben stärker weht, so Bendix, müsse es doppelt so hoch sein wie die derzeit üblichen. Dafür könne man rund dreimal so viel Energie ernten. Nach Prüfung durch diverse Fachleute und einen testweise errichteten Windmessturm, der den höheren Energieertrag bestätigte, begann im September 2024 in der Lausitz der Bau des ersten Riesenwindrads mit rund 300 Metern Nabenhöhe.

Etwas zielgerichteter als bei den offenen Einreichungen geht die Sprind bei den sogenannten Challenges vor. Hier suchen Laguna und sein Team Lösungen für ein bestimmtes Problem. Wie sie dieses angehen, bleibt dabei den teilnehmenden Teams überlassen. „Wir sagen zum Beispiel: Wir suchen einen Weg, CO₂ aus der Atmosphäre zu entfernen – nachhaltig, skalierbar, billig“, beschreibt Laguna das Prinzip. „Wir sagen nicht, ob das mit Pflanzen oder auf dem Meeresgrund passieren soll.“ Sechs solche „Wettbewerbe für Weltveränderer“ hat die Sprind bislang gestartet. Die Themen reichen von nachhaltigen Energiespeichern bis zu neuen Wegen, noch unbekannte Viren zu bekämpfen.

Bei der neuesten Challenge sind noch bis Mitte Januar 2025 Bewerbungen möglich. Unter dem Begriff „Composite Learning“ werden dabei Konzepte gesucht, die ein dezentrales Training von KI-Modellen möglich machen. Denn derzeit sind fast nur die ganz großen Internetkonzerne in der Lage, die erforderliche Rechenleistung bereitzustellen, die nötig ist, um stärkere Modelle zu schaffen.

Das Besondere an den Challenges: Es gibt am Ende nicht einen großen Preisgeldtopf für ein Siegerteam. Stattdessen werden mehrere Teams, sofern sie tragfähige Ideen vorlegen, für einen gewissen Zeitraum gefördert. Die „Composite Learning“-Challenge beispielsweise soll sich über 30 Monate erstrecken und dabei drei Stufen umfassen. Wer sich vor der Jury qualifiziert, der erhält bis zu 530 000 Euro für den ersten Zeitraum. Danach werden die Fortschritte evaluiert und bis zu sieben Teams mit dem größten Potenzial erhalten weitere 520 000 Euro für die nächste Stufe. Wer daraufhin in Stufe drei vorrücken darf, erhält noch einmal bis zu 600 000 Euro für die weitere Entwicklung und, im Idealfall, die Umsetzung.

Das bedeutet zum einen, dass statt erbitterter Konkurrenz eher Kooperation unter den verschiedenen Teams herrscht. Zum anderen, dass am Ende einer Challenge mehrere Teams übrig bleiben können. So wurden bei der Fünfjahresfeier in den Leipziger Pittlerwerken mehrere Konzepte ausgezeichnet, die sich dem Kampf gegen neuartige Viruserkrankungen verschrieben haben. Von nanokleinen DNA-Fallen bis zu einem neuartigen Nasenspray, das die natürliche Schleimbarriere des Körpers gegen Viren stärkt, reichten die Lösungen.

Die US-Innovationsschmieden Darpa oder Arpa-E sind Vorbild

Bei der „neuen Gründerzeit“, die Laguna beschwört, denkt man in Deutschland unweigerlich an Namen wie Daimler und Bayer, Siemens und Schering. Ging es damals also nicht auch ohne Staat? Eben nicht, sagt Laguna: „Das Kaiserreich steckte damals Millionen Reichsmark aus französischen Reparationszahlungen in die Wissenschaft – explizit mit dem Ziel, deren Innovationen auf die Straße zu bringen.“ Deutschland habe zwar nach wie vor eine exzellente Forschung. Die Umsetzung und Kommerzialisierung erfolge aber zu oft in den USA – wo es mit Agenturen wie Darpa oder Arpa-E seit Jahrzehnten staatliche Innovationsschmieden gibt.

Manchmal mahlen die staatlichen Mühlen jedoch auch nach dem Geschmack der Sprind zu langsam: Nachdem alles andere fertig war, die Planung stand und der ideale Ort gefunden war, mussten Laguna und sein Team nach seinen Angaben trotzdem noch mehr als ein halbes Jahr auf die finale Baugenehmigung für das Riesenwindrad warten.

Text: Christoph Koch
Erschienen in: Süddeutsche Zeitung
Foto: Mattia Balsamini/Sprind GmbH

Tags: , , , , , , , , , , ,

About the Author

About the Author: Christoph Koch ist Journalist (brand eins, GEO, NEON, Wired, GQ, SZ- und ZEIT-Magazin, Süddeutsche, etc.), Autor ("Ich bin dann mal offline" & "Digitale Balance" & "Was, wäre wenn ...?") sowie Moderator und Vortragsredner. Auf Twitter als @christophkoch unterwegs, bei Mastodon @christophkoch@masto.ai .

Subscribe

If you enjoyed this article, subscribe now to receive more just like it.

Subscribe via RSS Feed

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Top

Entdecke mehr von Christoph Koch

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen