Für Espressomaschinen kann man inzwischen so viel Geld ausgeben wie für einen – na gut, gebauchten – Kleinwagen. Was ist da los?
Ich mag Kaffee. Ich brauche ihn, um morgens mehr als nur ein Ächzen von mir zu geben. Sein Geruch macht mich glücklich. Aber ich verstehe nicht, wie viel Gewese manche Menschen um seine Zubereitung machen. Seit ich mich aus der elterlichen Tchibo-Filterkaffee-Zubereitung ins Erwachsenenleben verabschiedet habe, stelle ich morgens meine alte Caffettiera auf den Herd.
Mein Kaffee stammt aus dem Supermarkt. Bio ist er nur fürs Gewissen. Keineswegs weil ich denke, dass er besser schmeckt. Wenn es die Situation erfordert, trinke ich sogar Instantkaffee. Ich bin also seit Jahrzehnten Kaffee-Banause, wenn nicht gar Kaffee-Barbar. Als die einen Freunde irgendwann mit ihren Vollautomaten der Schweizer Firma Jura prahlten, war mir das ebenso egal wie das Fachsimpeln der anderen über die zahllosen Nespresso-Varianten. Ich schmeckte ohnehin keinen Unterschied zwischen Cosi und Arpeggio.
Doch eines fällt mir auf: Ich werde langsamer, wenn ich an Schaufenstern mit edlen Siebträgermaschinen vorbeigehe. Und ich werde immer öfter langsamer, weil in immer mehr Schaufenstern solch faszinierende Maschinen stehen.
Echte Hingucker aus poliertem Edelstahl
Siebträger – das sind jene Espressomaschinen, bei denen man mithilfe eines Handgriffs portionsweise Kaffeepulver mittels eines kleinen Metallsiebes in die Maschine einspannt. Danach wird das heiße Wasser mit einem Druck von neun Bar durch den Kaffee gepresst. Was in italienischen Kaffeebars seit über 100 Jahren Tradition hat, kommt seit einiger Zeit auch in den deutschen Privatküchen an. Der Markt ist riesig, und von den allergünstigsten Geräten abgesehen, sind die Maschinen echte Hingucker: polierter Edelstahl, handschmeichelnde Holzgriffe sowie kleine Mano- und Thermometer, hinter deren Fenstern Nadeln Wasserdruck und -temperatur anzeigen.

Ich bin mit meiner Faszination für derlei Ingenieurskunst nicht allein. Der Verkauf von Siebträgermaschinen boomt. Auch wenn sie insgesamt am Kaffeemarkt noch eine Nebenrolle spielen, gehen sowohl Verkäufe als auch Umsatz kontinuierlich nach oben, mit jährlichen Zuwachsraten zwischen drei und 14 Prozent. In den ersten drei Quartalen des vergangenen Jahres wurden in Deutschland etwa 250.000 Siebträgermaschinen verkauft.
In der Coronapandemie ging der Kaffeemaschinen-Absatz durch die Decke – Homeoffice sei Dank. Doch während der Verkauf von Kapselmaschinen oder Vollautomaten seitdem eingebrochen ist, sind Siebträger gefragter denn je. Warum?
Eine erste Vermessung der Frage beim Szene-Kaffeeladen direkt in der unmittelbaren Nachbarschaft. „Siebträger sind ein Lifestyle-Produkt“, sagt Ivo Weller, Gründer der Berliner Röststätte. „Viele, die bislang mit ihren Kapseln oder Pads zufrieden waren, merken entweder im Italienurlaub oder in der gehobenen Gastronomie, dass Kaffee auch viel besser und komplexer schmecken kann. Und das wollen sie dann zu Hause selber machen.“ Wobei es dafür Maschinen braucht, die schnell vierstellig kosten – und deren Investment noch nicht mal automatisch Erfolge bringt. „Viele Menschen, die sich eine Siebträgermaschine kaufen, sind erst mal enttäuscht, wenn nicht sofort perfekter Espresso rauskommt“, warnt Weller. „Doch diese Geräte muss man richtig zu bedienen wissen.“
Um nicht in diese Falle zu tappen, melde ich mich also für einen Baristakurs an, von denen es deutlich mehr gibt, als ich gedacht hätte. Zumindest in Großstädten kann man sich an jedem Tag der Woche an mehreren Orten in die Kunst des perfekten Cappuccino oder Espresso doppio einweisen lassen. Vom Einsteigerkurs über Latte-Art, also Verzierungen im Milchschaum, bis zu Kursen für angehende Gastronomen ist alles im Angebot.
Ich entscheide mich für ein Angebot des Berliner Cafés Godshot. Gründer Kai-Uwe Beyer hat in seinem Schulungsraum auch einen kleinen Showroom für Maschinen sowie eine Werkbank, an der er die schweren und doch filigranen Geräte repariert. Als Erstes lerne ich, dass es eine große Preisspanne gibt für solche Maschinen: von der De’Longhi Dedica (150 Euro) bis zur La Marzocco GS3 (8.000 Euro). Diese Bandbreite hat viele Gründe. Funktionsumfang, Materialien, Handarbeit versus Fließband, aber auch der grundsätzliche Aufbau.
Noch wichtiger ist frisch gemahlener Kaffee
Am günstigsten sind die sogenannten Einkreiser. Hier wird das Wasser für den Espresso und für den Dampf zum Milchschäumen im selben Kessel erhitzt. Auch die Zweikreiser haben nur einen Kessel, aber bereits getrennte Rohrkreisläufe für Kaffeewasser und Milchschaumdampf. Am teuersten und raumgreifendsten sind die Dualboiler mit ihren zwei getrennten Kesseln. Was ich noch lerne: Fast noch wichtiger als eine gute Kaffeemaschine ist frisch gemahlener Kaffee. „Wer sich einen Siebträger für ein paar Tausend Euro kauft, aber dann gemahlenen Kaffee aus dem Supermarkt einfüllt, der hat sein Geld zum Fenster rausgeschmissen“, sagt Beyer. „Für 2.500 Euro bekommt man durchaus eine gute Siebträgermaschine – aber dann muss man eben noch mal 600 Euro für eine Mühle ausgeben, damit es zusammenpasst.“
Die für mich vielleicht wichtigste Erkenntnis während des Seminars: Entgegen meiner jahrzehntelangen Überzeugung schmeckt Kaffee keineswegs immer gleich. Allein die Zubereitungsdauer ein und desselben Kaffees kann gigantische Geschmacksunterschiede bewirken. Stoppe ich den „Bezug“ des etwa 92 Grad heißen Wassers schon nach etwa zehn Sekunden, ist die kleine Pfütze in meiner Tasse sauer wie Zitronensaft. Lasse ich es hingegen 40 Sekunden laufen, wird das Ergebnis nicht nur immer dünner, sondern auch immer bitterer. Die ideale Balance ergibt sich in der Regel bei 25 Sekunden. Wenn es einem gelingt, in dieser Zeit die ideale Espressomenge von exakt 25 Milliliter zu extrahieren, nennen das die Profis einen „God Shot“.
Klingt simpel, ist aber höllisch komplex
Nach diesem Goldstandard der Kaffeezubereitung hat Kai-Uwe sein Café benannt. Es klingt simpel, ist aber höllisch komplex. Denn wie viel Flüssigkeit in 25 Sekunden durch das fein perforierte Sieb mit dem Kaffee gedrückt werden kann, hängt von vielen Faktoren ab: Kaffeesorte. Röstung. Mahlgrad. Wie fest ich „tampere“, also den Kaffee im Sieb festdrücke. Der Wasserdruck der Maschine. Sogar die Luftfeuchtigkeit spielt eine Rolle. Beim letzten Punkt meldet sich mein altes, skeptisches Instantkaffee-Ich: Ist das nicht nur Voodoo? Das bleibt unklar, aber die anderen Faktoren kann ich tatsächlich beim Herumtüfteln verifizieren. Am Ende des Kurses gelingt sogar mir – Heureka! – ein God Shot.
Derart motiviert mache ich mich auf den Weg nach Bammental in der Nähe von Heidelberg. Dort sitzt die Firma Espresso Coffeemachines Manufacture, kurz ECM. Geschäftsführer Michael Hauck macht uns erst mal einen Espresso. Ich achte auf alles, was ich in meinem Anfängerkurs gelernt habe. Natürlich ist Haucks Kaffee aufs Gramm genau frisch gemahlen, hat die richtige Bezugsdauer und einen ausgewogenen Geschmack. Muss er wohl auch. Schließlich ist ECM einer der weltweit angesehensten Hersteller für hochwertige Siebträgermaschinen. Und wenn man so will, ist Haucks Vater Wolfgang der Mann, der den Boom vor Jahrzehnten nach Deutschland brachte.
Gemeinsam mit seiner Frau betrieb Wolfgang Hauck in den 1970ern ein Elektrogeschäft mit angeschlossenem Küchenstudio. Am Ende eines Italienurlaubs fuhr er beim Kaffeemaschinenhersteller Gaggia vorbei und brachte eine Siebträgermaschine mit, wie es sie damals eigentlich nur in der Gastronomie gab und nur aus italienischer Produktion. Mit dieser bereitete Hauck während der Beratung im Küchenstudio seinen Kunden einen Espresso zu. Mit dem Ergebnis, dass diese immer öfter statt einer neuen Dunstabzugshaube eine solche Kaffeemaschine wollten. Hauck senior erkannte die Marktlücke – und wurde für 25 Jahre der exklusive Deutschlandimporteur legendärer italienischer Siebträgermarken wie Gaggia, Cimbali, Pavoni und Vibiemme.
Jahresproduktion von 40.000 Stück
1996 fing Wolfgang Hauck dann an, in Mailand eigene Maschinen fertigen zu lassen, damals noch in Kooperation mit einer namensähnlichen Firma, mit ECM Spa, der Espresso Company Milano. 2005 trennten sich die Wege, Sohn Michael stieg in die deutsche ECM ein, und die Familie veranlasste Ungewöhnliches: Nicht nur Design und Entwicklung holten sie komplett aus der Espresso-Heimat Italien ins Hochlohnland Deutschland, sondern sie bauten bei Heidelberg auch eine zweite Fertigungslinie auf.
Und die Industrialisierungsstrategie hat sich ausgezahlt. Aus 2.000 gefertigten Maschinen im Jahr 2005 sind inzwischen über 40.000 im Jahr geworden. So viele, dass sie weitere Hallen im nahen Mauer bezogen haben. In Zwölferreihen stehen dort halb fertige Maschinen auf den Tischen, bereit zur Endmontage: Etwa fünf Stunden lang werden nun noch jeweils in Handarbeit Dutzende Einzelteile hineinmontiert und drangeschraubt. Bestseller ist die Synchronika, ein Dualboiler mit Rotationspumpe, Preis je nach Ausführung zwischen 3.000 und 3.300 Euro. Aber es geht auch günstiger.
Während Branchenriese De’Longhi 2021 mit La Marzocca eine Nobelmarke übernahm, ging Familie Hauck genau andersherum vor: Mit Profitec wurde eine Produktlinie unterhalb des Luxussegments begründet. Diese Siebträgermaschinen sind ab 800 Euro zu haben, das Zielpublikum: Menschen, die von einer Melitta- oder Senseo-Maschine oder einem preiswerten Sage- oder De’Longhi-Siebträger upgraden möchten, aber nicht direkt den Bausparvertrag zugunsten einer ECM-Maschine auflösen wollen. Der Bedarf wächst offenbar: Von 30 Prozent mehr Geräten pro Jahr sprechen sie bei Profitec.
Tatsächlich wächst der Kaffeemaschinenmarkt insgesamt – beziehungsweise vor allem die Preise: 1,1 Milliarden Euro gaben die Deutschen im Jahr 2023 für Kaffeemaschinen aus, so die Marktforschungsfirma NIQ – etwa 45 Prozent mehr als vor zehn Jahren. Doch zugleich seien 20 Prozent weniger Maschinen verkauft worden.
„Die Preise sind in den letzten Jahren durch die Decke gegangen“, bestätigt Kai-Uwe Beyer, als ich ihn nach meiner Reise nach Heidelberg in seiner Café-Lounge treffe. Im Durchschnitt (319 Euro mittlerweile) und im Luxussegment: „Die gleiche Maschine, die vor zehn Jahren 1.000 Euro gekostet hat, kostet heute 1.750 Euro. Klar, für einen kleinen Teil des Preissprungs sind Rohstoffe und Lohnkosten verantwortlich. Aber die Hersteller haben vor allem die Gunst der Stunde genutzt.“
Preissensitivität weicht dem Perfektionismus
Das erinnert an den Markt für Rennräder, wo sich die Preise in den letzten zehn Jahren auch nahezu verdoppelt haben. Wie bei den Rennrädern – oder Hi-Fi-Anlagen – sind es auch bei den Siebträgern überwiegend Männer, die sich in ihr Hobby derart hineinsteigern, dass Preissensitivität irgendwann dem Perfektionismus weicht. In Onlineforen wie kaffee-netz.de scheint es jedenfalls – Quelle: Bauchgefühl – allein mehr Andreasse als Frauen insgesamt zu geben, die sich über Siebträger austauschen.
Und was ist nun mit mir? Grundsätzlich finde ich es wunderbar, sich in eine Sache derart zu vertiefen, dass man alles darüber wissen möchte. Dass Menschen sich in Onlineforen austauschen, ab wann sich eine Siebträgermaschine mit Festwasseranschluss lohnt oder welche Nachteile ein Kegelmahlwerk hat, statt einfach nur zu MediaMarkt zu gehen und zu kaufen, was gerade im Angebot ist. Denn schon der US-Komiker Jerry Seinfeld wusste: „Das Geheimnis des Lebens ist es, Zeit auf die Art und Weise zu verschwenden, die einem gefällt.“ Und ich muss sicherlich mein banausenhaftes Credo revidieren, dass Kaffee, egal wie man ihn macht, einfach nach Kaffee schmeckt.
Trotzdem merke ich bei aller Faszination für die Maschinen und die Feinheiten der Zubereitung, dass aus mir wohl kein Siebträger-Geek werden wird. Sollen andere sich Sorgen um „Channeling“ (ungleich im Sieb verteilten Kaffee) oder die optimale Feinporigkeit des Milchschaums machen.
Ich behalte eher das Prinzip des abnehmenden Grenznutzens im Kopf, das bei Siebträgermaschinen gelte, wie mir meine Berliner Kaffeeexperten bestätigt haben: Für die ersten 1.000 Euro bekommt man die größte Qualitätssteigerung, danach legt man immer mehr Geld für immer kleinere Verbesserungen hin. Den allergrößten Sprung mache man indes, das sagt sogar ECM-Chef Michael Hauck, wenn man vom abgepackten Kaffee aus dem Supermarkt auf frisch geröstete Bohnen umsteigt. Wahrscheinlich stelle ich also weiterhin meine gute alte Caffettiera auf die Herdplatte – investiere aber in eine solide Mühle.
Erschienen in: Die ZEIT
Text: Christoph Koch
Foto: Marzena Skubatz